Bilder einer mutierten Welt

Schrecken in der Schönheit: KUNSTHAUS Nürnberg zeigt Insektenstudien von Eva Hesse-Honegger

Thematisch hätten die Arbeiten von Cornelia Hesse-Honegger mit ihrem politischen Anspruch und dem Grenzgängertum zwischen Dokumentation und künstlerischer Aussage durchaus auf die letzte Documenta gepasst, von ihrer Technik her jedoch nicht: Die detailgenauen Naturstudien, die das Kunsthaus Nürnberg in einer ungewöhnlichen Ausstellung präsentiert, sind Aquarelle - ästhetische Abbilder, deren Doppelbödigkeit, ja Schrecken sich erst auf den zweiten Bild offenbart.

Die ausgebildete Wissenschaftszeichnerin zeigt in zig-facher Vergrößerung Mutanten - Insekten, deren Flügel verkrüppelt sind, aus deren Körpern Geschwüre quellen. Gefunden hat sie die Wanzen, Käfer und Fliegen in der Nähe von Atomkraftwerken.

Die Schweizerin (Jahrgang 1944) sammelt, züchtet und »porträtiert« seit 25 Jahren Wanzen. Zunächst intakte. Die zeichnete sie beruflich am Zoologischen Museum der Universität Zürich und für diverse Fachmagazine. Aus den 70er Jahren stammen die frühesten Bilder, sie zeigen Varianten von Flügeln oder zig verschiedene Maikäfer, die sich zu einem ästhetischen Haufen zusammenrotten. Die frühen Arbeiten dienten der Künstlerin oft als Entwürfe für Dekorstoffe.

Der unbeschwerte Umgang mit ihren Studienobjekten war für Hesse-Honegger mit dem Reaktorunfall von Tschernobyl vorbei. Sie reiste nach Schweden, in das Gebiet mit dem höchsten radioaktiven Niederschlag, und fand »Erschütterndes« vor. Sie publizierte ihre Erkenntnisse und provozierte damit heftige Kritik von Wissenschaftlern, die einen Zusammenhang zwischen den Deformierungen der Tiere und der radioaktiven Dosis bestritten. Hesse-Honegger weitete ihr Forschungsgebiet aus und dokumentierte die Krankheitsbilder von Wanzen in der Nähe von Atomkraftwerken.

So weit, so wissenschaftlich. Einen entscheidenden Schritt in künstlerischer Hinsicht tat Hesse-Honegger Mitte der 90er: Sie abstrahierte die Tierkörper, deutete sie als schwarze Formen an und markierte die defekten Stellen durch leuchtende Farbpunkte. Leider zeigt das Kunsthaus nur zwei davon - dennoch eine sehenswerte Ausstellung.

BIRGIT RUF

Nürnberger Nachrichten

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