Cornelia Hesse-Honeggers Malerei zeugt im KUNSTHAUS von der mutierenden Welt
Das Kunsthaus ist verwanzt – und erst einmal ist das gut so. Die Krabbler sind ansehnlicher als ihr Ruf, was man bei einer Größe von zwei Millimetern bis zwei Zentimetern gewöhnlich nur nicht richtig zur Kenntnis nimmt. Im Kunsthaus kriegt man sie jetzt mitunter kindskopfgroß vorgesetzt. Nicht zuletzt aber sind die Tierchen aufschlussreich. Weil sie vom ersten Lebenstag an – einen Millimeter groß aus dem Ei geschlüpft – mit ihrem Rüssel die Pflanzen anstechen und deren Saft einsaugen, nehmen sie Umweltgifte auf und mutieren. So wie sie sich verändern, lässt das auf das ökologische (Un-)Gleichgewicht schließen.
Die Zürcherin Cornelia Hesse-Honegger sammelt, untersucht und malt Heteroptera. Und wo sie das getan hat – im Umfeld von Atomanlagen – trat Erschütterndes zutage. Ihre Bilder von mutierten Wanzen, verkrüppelten Tau- und Stubenfliegen, deformierten Zikaden und kranken Eichenblättern sind jetzt im Kunsthaus zu sehen.
Die Schweizerin, die sich selbst als "Wissensmalerin" bezeichnet, arbeitet interdisziplinär. Das manifestiert sich bereits dadurch, dass sie im Atelier neben den Mal- und Zeichenutensilien Mikroskope stehen hat – ist sie ja auch ausgebildete Wissenschaftszeichnerin. Die 117 Aquarelle und Zeichnungen, die nun in der Schau "Heteroptera – Bilder einer mutierenden Welt" hängen, zeugen von einem Werkverständnis, wonach ein Künstler nur darstellen darf, was er zuvor erforscht hat.
In durchaus bewusster Nachfolge von Maria Sybilla Merian, der großen Botanik-Forscherin und -Malerin des 17. Jahrhunderts, gründen vor allem die früheren Werke von Cornelia Hesse-Honegger aus den 60er bis 80er Jahren auf dem Anspruch nach zwar vergrößerten, ansonsten jedoch nicht veränderten, akribisch genauen Abbildungen.
Nach der Nuklear-Katastrophe von Tschernobyl erhielten ihre Arbeiten neuen, besonderen Belang, versuchte die Naturmalerin doch, die horrenden Folgen von Atomenergie anhand ihrer Studien mutierter Insekten zu beweisen. Wie politisch konzipiert die Arbeit von Cornelia Hesse-Honegger ist, die früher ihre Werke ausschließlich im Freien präsentierte, belegen bereits die Entstehungs- und Fundorte ihrer Heteroptera: La Hague, Three Mile Island, Aargau, Gundremmingen oder die Ukraine.
Dass die Sterilität der Insektenforschung mehr oder minder als Ausstellungskonzept übernommen wurde, ist ein Manko der Präsentation, die etwas Schulbuchhaftes hat. Trotz künstlerischer Feinarbeit ist es dann letztlich doch eher der schaurige Kontext, der das Interesse rettet. Was Kleinodien nicht ausschließt, die aus den Reihen mutierter Krabbler – bei aller individuellen Sonderlichkeit werden sie hier in rauhen Mengen präsentiert – herausleuchten: Die weiche, fast federhafte Darstellung einer Langbeinigen Laubwanze gehört dazu, die Hesse-Honegger in den Abendstunden auftat; die farbige Vielfalt von Marienkäfer-Flügeln als ästhetische Reihung, nicht minder die dreieckigen, tropfenhaften Wanzenschildchen und die Fliegenrücken – bröckelnde Familienwappen der Natur.
CHRISTIAN MÜCKE
Nürnberger Zeitung