Der Stoff, aus dem manche Bilder sind: Textile Arbeiten von Hanns Herpich im KUNSTHAUS Nürnberg
Die Textilkunst ist, warum auch immer, das Stiefkind einer Branche, die ansonsten gern vom »erweiterten Kunstbegriff« schwadroniert. Dabei sind es gerade die textilen Kreationen, die eine faszinierende Brücke schlagen können zwischen uralten Techniken und modernen Formen, zwischen alltäglicher Stofflichkeit und ästhetischer Transformation. Wie das funktioniert, ist jetzt im KUNSTHAUS Nürnberg zu besichtigen, wo Hanns Herpich auf drei Etagen eine beispielhafte Musterkollektion textiler Bild- und Objekt-Erfindungen präsentiert.
Der Textilkünstler, bis 1999 langjähriger Professor an der Nürnberger Kunstakademie und zeitweise auch deren Präsident, hat sich von den landläufigen Fehleinschätzungen seines Metiers nie wirklich irritieren lassen, sondern beharrlich und erfolgreich an Web- und Lehrstuhl demonstriert, welche künstlerischen Möglichkeiten das ganz und gar nicht fadenscheinige Material birgt.
Die sehr schöne, luftig und kontrastreich inszenierte KUNSTHAUS-Schau belegt exemplarisch den Rang einer textilen Kunst, die autonome Werke hervorbringt und nicht nur eine Tapisserie-Transformation vorhandener Tafelbild-Motive ist.
Ein leuchtendes Erlebnis offenbart sich bereits im Erdgeschoss. Hanns Herpich, 1934 in Oberfranken geboren und seit gut vier Jahrzehnten in Nürnberg lebend, zeigt hier eine Serie von acht roten Textilbildern, die nur scheinbar monochrom sind. Tatsächlich aber bergen die streng konstruktiven, zugleich aber auch poetisch wirkenden Streifen, Nähte und Flächen eine Vielzahl von Valeurs.
Nicht anders ist dies eine Etage höher. Hier sind die Farben der mal vertikal, mal horizontal in das Bildgewebe gesetzten Strukturen naturbelassen. Ein (T)raum in Weiß und Beige und feinem Grau bis Braun. Kunst-Stücke von stiller Größe - einfach raffiniert komponiert.
Von höchster Raffinesse schließlich die Raumverspannungen im Obergeschoss. Diese gewebten Skulpturen mit ihren sich kreuzenden, durchdringenden Bahnen belegen am deutlichsten, wie Herpich souverän Handwerk und künstlerischen Ausdruck zu verschmelzen versteht. Das strenge Spiel der Formen und Strukturen, der kalkulierte Wechsel von Farben und Texturen, wird fortgeführt in nicht minder komplexen Fahnen-Objekten.
Und spätestens angesichts dieser Arbeiten fragt man sich, warum Hanns Herpich nicht öfter mit Einzelausstellungen präsent ist in der Region. Die, gemessen am gesamten Schaffen des Textilkünstlers, kleine Werkschau war überfällig und sollte nicht versäumt werden - wer weiß schon, wann und wo das nächste Mal die gewebten Segel der Phantasie gesetzt werden.
Von: MICHAEL BECKER, Quelle: Nürnberger Nachrichten