14. September bis 12. November 2017
Das Recht auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit sowie der Schutz vor Diskriminierung, Folter und staatlicher Willkür wird in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 ebenso festgeschrieben wie das Recht jedes Menschen auf Arbeit, Bildung, kulturelle Teilhabe oder Rede- und Glaubensfreiheit. Dennoch werden die Menschenrechte täglich irgendwo auf der Welt massiv verletzt – auch in den 193 Staaten, die diese Charta bis heute unterzeichnet haben. Die Einhaltung der 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erscheint daher als ein gesellschaftlicher Idealzustand, der im Alltag der Menschen noch längst nicht erreicht ist, sondern immer wieder neu eingefordert werden muss. Die große Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit bildet den Hintergrund für das gesamte Werk der 1967 in Barcelona geborenen Künstlerin Alicia Framis, die heute in Amsterdam lebt.
Ihre Installationen, Kostüme, Objekte und Performances machen auf soziale, kulturelle oder politische Probleme aufmerksam, bieten aber zugleich auch alternative Denkmodelle und Handlungsweisen an. So verbindet Alicia Framis etwa in dem Projekt Anti_Dog (2002–2003), vorgestellt im niederländischen Pavillon auf der 50. Biennale in Venedig, die Frage nach dem Schutz von Frauen in der Öffentlichkeit mit der Protestform der Demonstration. Die durch französische Haute Couture inspirierten, goldfarbenen Kostüme aus kugelsicherem Material sollten Frauen furchtlos auf die Straße gehen lassen, und zugleich das Demonstrieren als attraktives und machtvolles Handeln bewusst machen. Für das Projekt 100 Ways to Wear a Flag (2007) lud Alicia Framis junge Modedesigner ein, aus chinesischen Flaggen Kleidungsstücke zu entwerfen und das Ergebnis fotografisch zu dokumentieren. Aus Furcht vor Konsequenzen wegen Missbrauchs des Staatssymbols verbergen die Models auf den Dokumentationsfotos der Designer ihre Identität. Auch die in den Jahren 2003–2006 entstandenen Secret-Strike-Filme basieren auf einer Regelverletzung, dem plötzlichen Aussetzen und Erstarren von Menschen bei ihrer täglichen Arbeit in einer Bank, einem Museum oder einem Modekonzern. Während die Maschinen geräuschvoll weiterlaufen, wandert die Kamera von einem Raum zum nächsten und zeigt eine geheime Choreografie menschlicher Körper, Szenen von eingefrorenen Bewegungen und Posen, die ebenso an klassische Skulpturen oder Figurengruppen wie an Motive aus der Geschichte der Fotografie erinnern. Die von Alicia Framis inszenierten „heimlichen Streiks“ haben kein gemeinsames Ziel, sondern konfrontieren jedes Individuum für ein paar Sekunden mit sich selbst. Sie öffnen einen Spalt in der Zeit, ermöglichen einen kurzen Wechsel in eine andere, private Realität und bilden symbolisch eine kleine Rebellion gegen ein System, in dem Menschen nach äußeren Vorgaben und Zeitplänen funktionieren müssen.
Mit ihrer Werkgruppe der Forbidden Rooms setzt Alicia Framis ebenfalls Kunst und Leben miteinander in Beziehung. Begehbare Architekturen laden dazu ein, laut zu schreien, verbotene Bücher zu lesen oder die zeitgenössische, urbane Gesellschaft anders zu denken als im Modell der traditionellen Familie.
Mit der Ausstellung fearless präsentierte die Kunsthalle Nürnberg die erste umfassende Einzelausstellung der spanischen Künstlerin in Deutschland, parallel zur Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises der Stadt Nürnberg und dem Nuremberg International Human Rights Film Festival (NIHRFF). Die Auswahl der Werke umspannte einen Zeitraum von zwanzig Jahren und reicht von interaktiven Installationen bis hin zur Dokumentation von Performances und Projekten in Fotografien und Videofilmen. Die Ausstellung wurde ergänzt durch den Katalog Framis in Progress, der anlässlich der ersten Retrospektive der Künstlerin im Museum voor Moderne Kunst Arnhem, in der Galerie im Taxispalais Kunsthalle Tirol in Innsbruck und im MUSAC, Castilla y Léon (2013–2014) erschienen ist.
Zur Ausstellungseröffnung gab die Künstlerin eine Live-Performance, mit der die wachsenden diffusen Ängste in der Gesellschaft ebenso thematisiert werden wie die inzwischen standardisierten globalen Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen.