Adam und Eva als hölzerne Türsteher

Die Jubiläumsschau "10x Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten"

Ein weiteres Foto der Flutkatastrophe? Das glaubt man bei Sonja Webers Bild auf den ersten Blick vor sich zu haben, denkt unweigerlich an die vielen schrecklichen Aufnahmen unaufhaltsam vorwärtstreibender Wassermassen, die in irrem Tempo Häuser und Landschaften zerstören. Der fotografische Eindruck der spritzenden Gischt und wallenden Fluten verflüchtigt sich bei genauem Hinsehen: Das etwa zwei mal drei Meter große Bild, das bedrohlich und beruhigend zugleich wirkt, ist gewebt. Durch die reliefartige Oberfläche verändert sich die Ansicht mit der Position des Betrachters: je schräger man auf das Stoffrechteck sieht, desto dunkler wirkt es, das Schwarz verschluckt die weißen Schaumkronen.

Denkt man sich die Wände im Nürnberger KUNSTHAUS weg, dann hätte der "Surfer" von Tobias Gereon Gerstner, der gegenüber auf seinem Brett balanciert, die Stoff-Flut fest im Blick. So unterschiedlich diese beiden Arbeiten auch sind, es verbindet sie nicht nur das Thema Wasser, sondern auch ihre ungewöhnliche Materialität und die zeitgemäße Verwendung klassischer Techniken: Der lebensgroße Jüngling in Badehose ist aus Ton - eine seltsame Mischung aus antikem Helden und Freizeitsportler des 21. Jahrhunderts.

Während der Wellenreiter im Ausstellungsraum ungestört vor sich hin surfen kann, müssen die "Türsteher" von Bildhauer Clemens Heinl mehr aushalten: Mit einem LKW-Kran wurde das Eichenholz-Paar "Adam und Eva" auf seinen von Passanten hochfrequentierten Freiluftplatz vor dem Ausstellungshaus gehievt und wirbt hier bereits seit Tagen - er liegend, sie stehend - für die "Kollegen" im Inneren. Neben Malerei und Zeichnung bietet die Präsentation nämlich ein ungewöhnlich breites Spektrum bildhauerischer Arbeiten: klassische Bronzefiguren von Wilhelm Uhlig, filigrane Stahl-Kompositionen von Alfred Meyerhuber, die Pappmaschee"Metamorphose" von Anna Bien oder hintergründige Mensch-Tier-Plastiken von Christian Rösner.

Von der Sahara über die Berge Tibets bis in abstrakte Farbräume führt die Malerei: Rainer Funk lässt die Hitze der Wüste in intensiven Rottönen leuchten, Gerlinde Pistner stellt uns in ihren Wäldern vor schier undurchdringbare Vegetation, und Regine von Chossy zieht den Betrachter in einen flirrenden "Lichtwirbel". Den tibetischen Bergen von Brigitta Heyduck steht der "Vulkan" von Werner Knaupp gegenüber: Rötlich-braun ragt der mächtige Schlot in den hellblauen Himmel und steht für einen Neuanfang im Schaffen des Künstlers. Pastelle sind für ihn vorläufig passé, jetzt bezwingt Knaupp "seine" Themen, die Berge und Vulkane, mit Acrylfarbe auf Groß-Leinwand.

Strenger, abstrakter, konstruierter dagegen die Brückenschläge zwischen Architektur und Malerei: Georg Karl Pfahler, der kürzlich verstorbene Künstler, lotet in seinem 1994 entstandenen Bild "Calicul Nr. II" die autonome Wirkung von Form und Farbe aus. Hans Peter Reuter setzt in bewährter Manier auf gemalte Raumillusion in Blau, und Peter Kampehl konstruiert unregelmäßige Gitternetze, die vor dem Auge des Betrachters zu vibrieren beginnen.

Neben den Landschaftsmalern und Konstrukteuren die "Geschichtenerzähler": Allen voran Roger Libesch, dessen vier Leinwand-Comicstrips in Krankenhaus-Katakomben "spielen". Abseits der Landschaft bewegt sich diesmal auch Gerhard Riessbeck. Sein "Großes Herz" mit Augen, Nase, Mund ist geflickt, zerrissen und, wie der Künstler selber findet, "umwerfend grässlich". Ihn interessiert in seinen neuen skurrilen Bildern das Komische, das sich mit dem Bösartigen paart.

Die Ausstellung versammelt die Crème der fränkischen Kunstszene, ist aber nicht auf die (nach wie vor vitalen) "Altmeister" wie Oskar Koller oder Franz Vornberger beschränkt: Rund ein Drittel der Teilnehmer ist in den 60er Jahren geboren. Der Katalog zeigt neben einem ausgestellten Werk auch die (meist ältere) preisgekrönte Arbeit. Das ermöglicht Vergleiche, macht Entwicklungen und Kontinuitäten sichtbar. Sonja Webers im Jahr 2000 prämiertes Web-Wasser zum Beispiel hatte eine sanft-wellige Oberfläche - die aufgewühlte dagegen erinnert indirekt auf hohem ästhetischen Niveau an leider ganz reale Fluten.

Von: BIRGIT RUF, Quelle: Nürnberger Nachrichten

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