Die Konturen der Zeitlichkeit

Sehenswert: Die Ausstellung »Vita brevis, ars longae« im KUNSTHAUS

Stephan Deckert und Annette von Kienlich malten feinsinnig - und starben früh. Beide wählten den Freitod. Als Stephan Deckert sich 1997 das Leben nahm, war er 35 Jahre alt. Annette von Kienlin starb vor drei Jahren mit 43.

Die sehenswerte Ausstellung »Vita brevis, ars longae« im Nürnberger KUNSTHAUS nimmt den selbst bestimmten Tod der beiden Künstler - die einander nicht kannten - zwar nicht zum Anlass, sondern vermerkt ihn eher als tragische Parallele; dennoch kommt man als Betrachter nicht umhin, den schneidenden Abschluss beider Biografien mitzudenken, steht man vor den Bildern. Vor den Fragmenten der Wirklichkeit, die Stephan Deckert einfing, indem er mit fotorealistisch anmutendem, sachlich-kühlem Duktus eindringlich Räume, Gegenstände, Landschaften, Menschen malte, ehe er in späten Naturstudien einen viel zu früh eintretenden Herbst ins Bils rückte und schließlich die Dunkelheit Raum greifen ließ. Und genauso wenig lässt sich das Wissen um die Todesentscheidung der Annette von Kienlin auslöschen, dringt man in die Welt ihrer expressiven Rosenserien, die die Malerin zuletzt schuf. Wie reduzierte Körperfragmente können dem Betrachter die Blüten vorkommen.

»Eine Sache der Malerei« hat Kunsthaus-Leiter Hans-Peter Miksch seine Ausstellung im Untertitel benannt. Ein Gedanke, der insofern zutrifft, als es sich bei beiden Künstlern um Suchende handelte, die der Frage nachgingen, welchen Stellenwert Malerei im Zeitalter von Fotografie, Videokunst und elektronischen Medien noch haben kann. Stephan Deckert, hoch begabt, doch am Kunstmarktgeschrei wenig interessiert, übte sich zeichnerisch frühzeitig an den Alten Meistern; die Madonnenkomposition eines Jan van Eyck interessierte ihn als Fingerübung mehr als der Neoexpressionismus der 80er Jahre, der die Akademien durchzuckte. Zu dieser Zeit studierte er in Nürnberg bei Christine Colditz, um schließlich bei Klaus Fußmann in Berlin Meisterschüler zu werden.
Welchen Wert Deckert, der sich mal an Edward Hopper, zuweilen auch an Lucien Freud orientierte, bis zuletzt der minutiösen Detailgenauigkeit in seiner Malerei beimaß, wird in den im KUNSTHAUS gezeigten Bildern aller Formate deutlich. Besonders wirken die Landschaftsbetrachtungen des Malers, komponiert als raffinierte Lichtstudien, nach. Nicht minder erwähnenswert sind die vom Künstler so bezeichneten Fensterbilder, mit denen er dank ausgefeilter Inszenierung von Konturen viel sagende Blicke von draußen nach drinnen in Spielsalons, Schaufenster und Autos gewährt. Seine Meisterschaft, unterschiedlich flächige Bildelemente gegeneinander auszubalancieren, bis ein ausgewogenes Ganzes entsteht, wird gerade mit diesen Arbeiten verdeutlicht.

Heller Ort
Bei der erfahrungs- wie verletzungsreichen Suche nach einer eigenen malerischen Ausdrucksform stand Annette von Kienlin Stephan Deckert in nichts nach. Nach dem Abschluss des zweiten Jura-Staatsexamens - nun waren die bürgerlichen Erwartungen erfüllt - wählte sie statt der Rechtskarriere den Weg an die Münchner Kunstakademie (Meisterschülerin bei Hans Baschang), um sich im Folgenden mit gestischen und expressiven Bildern voller Schweinskopf-Motive, Klobürsten und Akten zu versuchen. Erst mit der fulminanten Serie der Rosengemälde sollte sie jedoch kurz vor ihrem Tod das Thema finden, das zu transzendieren und transformieren ihr entsprach. Im KUNSTHAUS wird ihr posthum ein heller Ort gegeben, sinnlich und raumgreifend erfahrbar zu machen, wie sie die Welt erlebte.

Von: CHRISTIAN MÜCKL, Quelle: Nürnberger Zeitung

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