08.05. bis 22.06.1997
Rémy Zaugg, dessen Bilder für viele Menschen aussehen wie Schrifttafeln, war ein Maler klassischer Tradition. Sein Medium (aber auch sein Thema) ist das Tafelbild, eine der alten und zentralen Gattungen der abendländischen Kunstgeschichte. Zauggs Modernität oder Aktualität äußert sich nicht darin, daß er, wie das andere Künstler immer wieder getan haben, die Grenzen einer traditionellen Kunstgattung sprengt und die Verbindlichkeit der Gattung bestreitet, sondern dass er das künstlerische Tun innerhalb dieser Gattung einer grundsätzlichen und systematischen Analyse unterzieht, mit dem Anspruch einer uneingeschränkten rationalen Durchdringung. Er zerlegt das gemalte Tafelbild begrifflich in seine kleinsten Bestandteile und setzt es auf einer begrifflichen Ebene wieder zusammen. Nur aus dieser Analyse heraus hat sich unter seinen Händen eine neue Form des Tafelbildes entwickelt: Gemalte Bilder, die in Texten sprechen.
Der moderne Anspruch, unter dem seine Arbeit steht und der die Entwicklung seines Tafelbildes bestimmt hat, lautet, dass in heutiger Zeit, auf heutigem Niveau historischen Bewußtseins ein unreflektiertes künstlerisches Handeln - ein Malen aus dem Bauche heraus - nicht mehr zulässig ist. Jegliche künstlerische Arbeit muss sich durch eine schlüssige historische Argumentation begründen.
Das Kunstwerk behauptet seinen Platz in der Gegenwart nur, wenn es sich aus der Logik der historischen Entwicklung begründet Daß Rémy Zauggs Tafelbilder heute so aussehen, wie sie aussehen, ergibt sich nach Rémy Zauggs Argumentation aus einer Schritt für Schritt folgerichtigen Entwicklung der abendländischen Malerei von Cézanne über den Kubismus und Barnett Newman bis in die Gegenwart. Der Künstler Rémy Zaugg beschränkt sich heute ganz auf die Rolle des Historikers und Theoretikers, der die Definition liefert für Bilder, die von handwerklichen Spezialisten ausgeführt werden. Die Form dieser Bilder ergibt sich nicht aus Inspiration oder ekstatischem Erleben, sondern aus der Folgerichtigkeit historischen Denkens.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg hatte sich Rémy Zauggs Analyse des Tafelbildes zum Thema gestellt. Sie stellte erstmals eine Werkgruppe aus den frühen siebziger Jahren vor, mit der der Künstler diese Analyse in eine neue Qualität überführt hat, die seitdem seine Arbeit und seine Entwicklung bestimmte. Hatte er in den Anfangsjahren figurative Bilder gemalt - vorwiegend Landschaften oder Interieurs - und versucht, Cézannes flächenhafte und stoffliche Malerei nachzuvollziehen, so begann er damals, eben diese Bilder monochrom zu übermalen.
Er überzog ihre Oberfläche - jeweils eine motivische Malerei - mit einer einheitlichen hellblauen Farbschicht. Die Spuren der ursprünglichen Malerei blieben nur an den Rändern der Leinwände sichtbar. In verschiedenen Serien schuf er unterschiedliche Reflexionen über die elementaren Bestandteile des Tafelbildes, den Bildträger und seine Bestandteile sowie die Malerei auf diesem Bildträger. Die Ausstellung schlägt den Bogen bis zu einer Gruppe allerneuster Bilder, ausgeführt in Siebdruck auf Aluminiumtafeln und in außergewöhnlich bunten Farben und grellen Kontrasten.
Zur Ausstellung erschien ein Katalog im Umfang von ca. 120 Seiten mit einer Einleitung von Lucius Grisebach, einem ausführlichen Text von Rémy Zaugg zum Thema des Tafelbildes und seiner Grundbegriffe, ca. 30 farbigen Abbildungen einzelner Werke und aller Ausstellungsräume sowie einer umfangreichen und neu erarbeiteten Chronologie aller Werke, Publikationen und sonstigen Aktivitäten des Künstlers von Eva Schmidt.