Sehnsucht nach dem Dickicht der Wälder

Ästhetisches Biotop: Das KUNSTHAUS Nürnberg zeigt eine Ausstellung mit Bildern und Installationen zum Thema »Wald«.

»Ich glaub', ich steh' im Wald«, dürfte sich so mancher Besucher angesichts dieser Ausstellung denken - und dabei vollkommen richtig liegen. Vom scheinbar schlichten, in manchen Köpfen noch konservativ besetzten Thema aber sollte sich niemand irritieren lassen. Denn das gemalte und installierte Biotop, das nun unter dem Motto »Wald« im KUNSTHAUS Nürnberg besichtigt werden kann, ist ein Ereignis. Und für das KUNSTHAUS-Team ein höchst gelungener Start ins vielversprechende 2000er-Ausstellungsprogramm.

Wald also. Aber ohne Heide, Förster oder die Gefahr, dass ein röhrender Hirsch um die Ecke biegt. Vier Künstler der jüngeren Generation (alle in den 50er Jahren geboren) demonstrieren eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem Thema, die garantiert frei ist von tumber Tümelei, plattem Naturalismus und oberflächlicher Idylle.

Stattdessen entstand ein packendes Panorama, bei dem man den Wald vor lauter Bilder besser denn je sieht. Nämlich auch als »Ort der Kindheit und der Sehnsucht«, wie es Ausstellungsleiter Hans-Peter Miksch formuliert. Und im Umkehrschluss sei dies zudem »ein sehr urbanes Thema«. Das mag paradox klingen, entbehrt aber keineswegs einer gewissen Logik. Denn wer im urbanen Gewürge den Blick auf die Natur verloren hat, kann hier wieder sehen lernen vom Dickicht der Städte in das der Wälder. Die erste Lektion erteilt im Erdgeschoss die Nürnbergerin Gerlinde Pistner. Die Malerin, 1996 mit dem »Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten« ausgezeichnet, lässt das Sujet märchenhaft wuchern. Rote und blaue Farbexplosionen transportieren den Forst an die Grenzen zum Surrealen. Bei Gerlinde Pistner funktionieren solche dschungelartigen Metamorphosen von Stamm und Ast und Blätterdach, das auch schon mal eine Licht-Schneise überwölbt, in allen Bildformaten.

So unterschiedlich die Wald-Wege dieses bemerkenswerten Künstlerquartetts stilistisch auch sein mögen, so deutlich ist eine Gemeinsamkeit. Überall geht es um Atmosphäre statt Abbild, um Gefühl statt um gegenständliches Gehölz. Am heftigsten lodert die Emotion in den expressiven Bildern des Oberpfälzer Malers Bernhard Maria Fuchs auf. Hier tost und tobt brennendes Gefühl über baumbestandene Anhöhen und durch verwachsenes Unterholz. Dass aber die ungestüm und gleichsam bis in Seelentiefen pulsierende Natur hier auch noch zu riechen ist, dafür sorgt ein Oberpfälzer Kollege von Fuchs.

Franz Pröbster Kunzel, Land Artistmit authentischen Landwirtswurzeln, hat im KUNSTHAUS zwei Installationen aufgebaut, die belegen, dass dieses Genre, ernsthaft betrieben, weit mehr hervorbringen kann als nur zeitgeistigen Schnickschnack. Die lichterlohen Fuchs-Bilder korrespondieren hier mit Kunzels »Schamanen-Waldschrein«. Dieses Beispiel aus Kunzels Werkstattder Feld und Lebenszeichen beschwört mit Rinden- und Fellstücken, mit Weidenruten, Steinen und duften den Baumschwämmen archaische Poesie und Magie-Momente.

Eine Etage tiefer außerdem Kunzels biovitaler, ebenfalls olfaktorisch wirksamer »Waldmoosgarten«, dessen aufgestelzte Flechtenteile täglich gewässert und nach der Ausstellung wieder an ihren Ursprungsort transportiert werden. Der liegt dann vielleicht zwischen Kiefern, wie sie seit langem von Jörg Schemmann mit erstaunlicher Virtuosität gemalt werden. Der Nadelbaum-Monokultur gewinnt der ebenfalls im Oberpfälzischen lebende Maler immer wiederneue Facetten ab. Lichtes und Dichtes fügt sich in Schemmanns Bildern zu stimmungstiefen Wald-Strukturen, in denen filigrane Stämme und kompakte Kronen eine Natursymphonie der besonderen Art ergeben.

Und wie das bei Spaziergängen so ist, kommt man dabei zuweilen noch auf ganz andere Gedanken. Die wunderbare Wald-Wanderung durchs KUNSTHAUS jedenfalls erinnert auch daran, dass hier dieser kleinen Institution (wieder einmal) eine qualitativ und konzeptionell herausragende Ausstellung geglückt ist, die man in manch größerem Haus vermisst.

Von: MICHAEL BECKER, Quelle: Nürnberger Nachrichten

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