Fragile Liniengerüste

»Plötzliche Stille« im Nürnberger KUNSTHAUS: Bilder von Rainer Thomas

»Randale« war geplant, »Plötzliche Stille« wurde daraus. Und mit der Wahl dieses Titels wird Hans-Peter Miksch, Ausstellungleiter im Nürnberger KUNSTHAUS, seiner aktuellen Präsentation auch sicherlich gerechter. Denn wer sich auf die reduzierten, sparsamen Zeichnungen von Rainer Thomas einlässt, wer seinen fragilen Liniengerüsten folgt und vor allem den großen weißen Raum dazwischen auf sich wirken lässt, der fühlt sich eher an- als aufgeregt. Sicher, das malerische Kontrastprogramm ist wuchtig, die Farbe randaliert auf der Leinwand in satten, kontrastreichen Tönen. Doch es gelingt den stillen Grafiken, stärker zu faszinieren - nicht unbedingt plötzlich, aber anhaltend.

Zwei Striche sind es manchmal nur, geschwungene oder gerade, die sich treffen oder voneinander wegstreben, die Fläche strukturieren und (Gedanken)Räume eröffnen. Noch erscheinen sie blattweiß, künftig plant Thomas Bleistiftzeichnungen mit Aquarellfarben zu kolorieren und so die beiden Pole seiner Kunst - Malerei und Grafik - stärker zu verbinden. Weder Bildertitel noch die geringste Andeutung von Figürlichkeit leiten den Betrachter beim Ausloten der harmonischen, minimalistischen Kompositionen. Sobald seine Entwürfe Konkreteres als »eine universelle Befindlichkeit« ausdrücken, (unbeabsichtigt) Gegenständliches erkennen lassen, vernichtet sie der Künstler. »Keine Assoziation darf sich so aufdrängen, dass alles andere verloren geht«, sagt Thomas.

In Serien entstehen seine Zeichnungen: »Ich will ausloten, was mit bestimmten Lineaturen ausgedrückt werden kann, lass mich leiten, von dem was entsteht, wenn eine Spur gelegt ist«. Lange ging diese »Spur« vom Zentrum aus. Denn während die frühen, sehr stark mit Rundungen arbeitenden Kohlezeichnungen wie ein Linienkern die Mitte des Blattes betonen, streben die Striche der neueren Kompositionen aus einer oft blanken Mitte über die Ränder hinaus und könnten sich - wenn überhaupt - erst in unendlicher Ferne treffen.

Malerei und Zeichnung laufen bei dem 1951 in Weißenburg geborenen, in Fürth lebenden Künstler stets parallel. Die Kompositionsvarianten, die er in seinen Zeichnungsserien nebeneinander zeigt, liegen bei einer Leinwand gewissermaßen übereinander. Durchscheinende Farbschichten zeugen von der wiederholten Übermalung der flächigen Felder. Die weitgehend chronologisch aufgebaute Ausstellung im KUNSTHAUS stellt Leinwände und Grafiken gleichberechtigt vor: rechts vom Gang die stillen Zeichnungskabinette, links die intensiven Farbräume, dazwischen Holzschnitte und experimentelle Collagen.

Text: Birgit Ruf, Quelle: Nürnberger Nachrichten

zurück
Teilen mit