Baustelle Natur

Werke des US-Fotografen Peter Goin im KUNSTHAUS Nürnberg

Eigentlich wollte Peter Goin persönlich zur Eröffnung seiner Ausstellung nach Nürnberg ins KUNSTHAUS kommen. Doch die Terroranschläge in den USA vereitelten die Reise des amerikanischen Landschaftsfotografen. Die Universität von Nevada in Reno, an der Goin als Professor für künstlerische Fotografie und Video unterrichtet, legte allen Mitarbeitern nahe, vorerst nicht ins Ausland zu fliegen.

Die Exponate waren glücklicherweise schon vor dem 11. September nach Nürnberg verschifft worden. Vor dem Hintergrund der Attentate bekommt die Ausstellung, die in einer bislang einmaligen Zusammenschau rund 100 Arbeiten aus den Fotoserien »Humanature« (1996) und »Nuclear Landscapes« (1991) zeigt, nun zusätzliche Aktualität. Doppelt nachhaltig wirkt angesichts des bedrohten Weltfriedens Goins Warnung vor einer fortgesetzten Zerstörung der Erde, die unterschwellig in allen Arbeiten steckt. Der 49-Jährige lenkt den Blick auf die Eingriffe der Zivilisation in die Natur, auf die oft kaum wahrgenommene künstliche Genese von Topografien, die ursprüngliche Natur suggerieren, in Wirklichkeit aber von Menschen geschaffen, verändert, zerstört und wieder aufgebaut wurden.

»Humanature« zeigt vom industriellen Raubbau verwüstete Landschaften, durch Brandrodung entstandene Savannen und daneben immer wieder Versuche der Schadensbegrenzung: künstlich gepflanzte Wälder, künstlich angelegte Sümpfe. Künstlich ist auch der Virginia Beach, wo sich am Volkstrauertag die Badetouristen tummeln. Sechs Wochen zuvor waren hier noch die Bagger im Einsatz, die die Strandidylle alljährlich und mit Hilfe von mehreren 100 000 Regierungsdollar wiederherstellen. Ein in einer Felswand künstlich angelegtes Falkennest dokumentiert das Bemühen, eine Vogelart zu retten, die der Mensch selbst zuvor beinahe ausgerottet hat.

Bei aller Realitätsnähe liegt eine unwirkliche Stimmung in Goins Fotografien; man mag der Ruhe nicht recht trauen. Noch stärker wird das Unheilvolle der gewalttätig verwandelten Natur in der Serie »Nuclear Landscapes« spürbar, die die Hinterlassenschaften der Atombombenversuche in den 40er und 50er Jahren dokumentiert. Ausgerüstet mit dem Geigerzähler besuchte der Künstler die verlassenen Testgebiete, fotografierte rostende Bunkerruinen, stillgelegte Reaktoren, eine zu Testzwecken aufgebaute Geisterstadt und durch Nuklearexplosionen entstandene gewaltige Erosionen. Eine dreiteilige Fotoarbeit zeigt die von einem Steinkegel markierte Stelle in der Wüste Neu-Mexikos, an der am 16. Juli 1945 mit der allerersten Atombombenexplosion der Aufbruch in das Nuklearzeitalter begann.

Endzeitstimmung vermitteln diese menschenleeren Landschaften, die keiner weiteren Inszenierung bedürfen, die allein durch ihre Dokumentation und die akribisch notierten Daten über Tag, Ort und Zweck der nuklearen Tests zu mahnenden Zeitzeugen werden. Dass bei aller Gesellschaftskritik, die aus diesen Bildern spricht, die zwiespältige Schönheit der Motive nicht verleugnet wird, macht die Auseinandersetzung mit der hier gezeigten Wirklichkeit umso zwingender.

Goins Arbeit knüpft explizit an die amerikanische Sozialfotografie Walker Evans' an, aber auch an jene in den 30er Jahre entstandene Fotokunst, die die Landschaften Nordamerikas als großartigen Mythos inszenierte. Beide Richtungen verbinden sich bei ihm zu einer »sozialen Landschaftsfotografie«, die uns die Bedrohung der Erde am Ende des 20. Jahrhunderts auf stille und eindringliche Weise vor Augen führt.

Text: REGINA URBAN, Quelle: Nürnberger Nachrichten

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