»Die Künstler aus Gugging«, eine Ausstellung im Nürnberger KUNSTHAUS
Gibt es ein solches Tier? Man möchte es streicheln, dieses Mischwesen aus Amöbe und Ameisenbär, das einen ein bisschen unförmig, aber mit großen freundlichen Augen unter großen freundlichen Ohren anblickt. Das Fell scheint weich und flauschig zu sein, ganz sauber hat der Künstler mit braunem Buntstift die rundlichen Körperflächen zwischen den schwarzen Konturen ausgemalt, brav Strich über Strich, bis die Farbe ein Knäuel bildet, mit leicht flirrender Wirkung. Es muss dieses Tier geben, keine Frage. Franz Kernbeis hat es gesehen, Franz Kernbeis hat es gezeichnet. Aber wer ist Franz Kernbeis?
Franz Kernbeis ist einer der »Künstler aus Gugging«, denen im Nürnberger KUNSTHAUS ab heute eine große Ausstellung gewidmet ist, und damit beginnt, wenn man so will, das Problem. Denn Gugging bedeutet hier weniger den niederösterreichischen Ort Gugging, als die dort befindliche psychiatrische Klinik, in der Franz Kernbeis lebt. Aber damit endet das Problem auch schon wieder. Die rund 80 Werke, mit denen die insgesamt acht Maler präsentiert werden, erlauben in ihrer überschäumenden Farbenfreude, der Ausgeprägtheit des individuellen Stils und der kreativen Ausdrucksbreite eine Annäherung, bei der nicht die Künstler als Kranke, sondern die Kranken als Künstler im Vordergrund stehen. In dem von Leo Navratil 1981 eingerichteten »Haus der Künstler«, einem Pavillon im Garten der Anstalt, können Kernbeis und seine Kollegen frei ihrer Kunst nachgehen, die sorgfältige, vor allem organisatorische Betreuung und der weltweite Erfolg der Künstlergruppe schaffen ideale Bedingungen, auch das nötige Selbstbewusstsein.
Das sieht man den Bildern an. Ganz unbeschwert kann Heinrich Reisenbauer seine kleinen lichten Serien zeichnen: Autos und Regenschirme, Sonnen und Schlitten. Voll Schwung kann Arnold Schmidt seine wilden Kreise zu Figuren zusammensetzen, kann August Walla auf großer Leinwand fast schon folkloristische Farbigkeit ausbreiten. Auch Nürnberg kommt in diesen Bildern übrigens vor. Johann Garber, auf dessen unglaublich akribischen Tuschezeichnungen die Ornamente einen einzigen Zeichendschungel bilden, der kaum ein Zentimeterchen frei lässt, übersät den Himmel über der Noris mit Blumen und Sternen, lässt Hubschrauber vergnügt die Türme der Stadt umrunden, auch Sonnen und Mond sind anwesend, lustig in den Ecken.
Um die schönen Dinge dieser Welt zu sehen, kann ein bisschen Naivität nicht schaden.
Text: Wolf Ebersberger, Quelle: Nürnberger Zeitung