Wolf Sakowski: Allgemeine Anleitungen und Kombinationsstücke

14. Januar 1993 bis 7. Februar 1993

Eine kulturpessimistische Sicht ist ihm nicht fern: Wolf Sakowski sieht Inhalte verschwinden im Leerlauf einer Kommunikation als rein soziale Geste, die dem Aufbau kommunikativer Strukturen mehr dient als der Vermittlung von Information. Die rasende Beliebigkeit der Kontexte bringt jeden Kern einer Sache zum Verschwinden. Die Gebrauchsanweisung für die Fernbedienung ersetzt die Diskussion der Botschaften. Und so zippen wir uns durch die virtuellen Wirklichkeiten, nur mehr fähig zu binär codierten Tätigkeiten.
Vielleicht sollte er Matta zitieren, auch einen malenden Nichtmaler, der meint, daß man sich »mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln«, mit »Verstand, Bewußtsein, Halluzination« dafür einsetzen soll, den Bewußtseinsraum zu besetzen, »und die sich ins Unendliche erweiternden Bilder so zu betrachten, als wären sie real, aber in Ausweitung begriffen, mit einer unendlichen Zahl von Fluchtpunkten...« 1)

Nicht bloß das einzelne Bild, auch die Menge aller Bilder erweitert sich ins Unendliche, und der schöne Schein einer Ordnung mit dem gesellschaftlichen Geländer der Formierung mit all ihren Ambivalenzen aus Orientierung und Repression ist verblichen. Also kann das einzelne Bild keine Vorstellung von Wirklichkeit mehr fassen, dies kann nur die Serie, die Reihe von Bildern - das neue Denken spiegelt sich in der Vernetzung, nicht in der einzelnen Hardware.

Als Wolf Sakowski 1988 den Lisa und David Lauber-Preis erhielt, waren viele Kollegen und Kunstfreunde überrascht, daß der Preis einem Maler verliehen wurde. Zwar hatte Sakowski bis 1974 an der AdBK Nürnberg Malerei studiert, doch war er seit Jahren bekannt als Konstrukteur mobiler, aerodynamischer »MenschMaschine-Skulpturen«. Das Bezeichnende an den mobilen Skulpturen war gewesen, daß sie tatsächlich funktionierten. Sie waren keineswegs Gebilde für poetische Luftschiffereien, vielmehr Vorschläge zur Optimierung eines Verhältnisses zwischen Fortbewegung und Stillstand bzw. Widerstand. Anregungen kamen aus der vergleichenden Beobachtung der Natur, bspw. von Tieren, die eine extrem hohe Anpassung an das ihnen eigene Element zeigen.

Die Aerodynamik und die Fortbewegung traten in den Hintergrund als Sakowski in den Folgejahren die Skulpturen zu Verkörperungen von Kräften wie Zug, Spannung, Druck machte. Hatte die Analogie zuvor in der Natur existiert, so existierte sie nun in der Architektur. Aus einer Ästhetik der Umwelt wurde eine Ästhetik der Technik, Frei Otto oder Buckminster Fuller verdrängten den Delphin oder die Schwalbe. Doch das Prinzip blieb die lineare Darstellung als Isolierung des Gedankens, der zwar als flüchtiger Impuls auftritt, nichtsdestoweniger Zentrum einer Welt sein kann. Die Skulpturen waren noch mobil, doch handelte es sich mehr um »Zeichnungen im Raum« aus Stahlseilen, Alu-Rohren, denn um Fahrzeuge. Vielleicht erfolgte die sich anschließende Rückkehr zur Malerei als Gegenbewegung zu einer Tendenz hin zu raumbezogenen Arbeiten, wie sie in der Mitte der 80er Jahre alle Welt vollzog. Vielleicht war es die oben angedeutete Erkenntnis, daß es möglich wurde, mit einer Zahl von Bildern selbst die Umgebung zu schaffen, in der das Bild eine Vorstellung, also einen neuen Weg für das Denken der Welt geben konnte. Auf den ersten Blick schien es, als lieferten diese Bilder maßstäbliche Entwürfe und Baupläne »nach« (wie sie selbstverständlich bei den mobilen Skulpturen bereits vorhanden gewesen waren). Aber die Fülle unterschiedlicher Bezüge der Malerei schuf eine bestimmbare Komplexität; der Maler Sakowski trat auf als Beobachter von technoid begründeten Wahrnehmungsveränderungen. Und in der Gewißheit, als Beobachter beobachtet zu werden (Niklas Luhmann), führte Sakowski seine Mittel nicht mehr vor als Mittel zur Darlegung eines Sachverhalts, sondern vielmehr als Zweck. Plötzlich war es also wieder möglich geworden zu malen.

»General Instructions« lautete der Titel eines monumentalen Bildes, und das könnte auch der Oberbegriff sein für alle anderen Bilder: Maschinen, Selbstbeweger werden zerlegt, Analyse ist Bestandteil des Bildaufbaus, kryptische Numerierungen sorgen scheinbar für Ordnung. Der Betrachter tappt in die Falle, glaubt, die Anspielung auf Modellbausätze verkünde die Machbarkeit der Welt, wo lediglich Neurose wächst. Paradigmatisch steht dafür das Bild »Howard Hughes - Ikarus« (Dauerleihgabe aus Privatbesitz für die Städt. Sammlung Nürnberg):
Ein auf Menjou-Bärtchen, Lachfalten, Pupillen reduziertes Comic-Gesicht starrt aus der Schwärze der linken Bildtafel, darüber schwebt der Hut mit dem Zahnrad, Symbol für einen Afficionado der Geschwindigkeit. Eine breite goldfarbene Linie mäandert rechtwinklig über die Leinwand, um sich fortzusetzen in der rechten Tafel, wo sie auch ihren Ausgangspunkt hat, die schmalhohe rechte Hälfte dieser Leinwand, eine Fläche des Lichtes und der Verehrung. Der gold-gelbe Grund wird tangiert an seinem unteren Rand von der Schwinge eines geflügelten Rades. Das Bild weist auf einen Hollywood-Mythos, der Typus und Tycoon einer Epoche war. Diese Malerei führt Analyse als Thema vor, tut das mit dem Skalpell und mit Elementen, die aus der Geschichte der Malerei bekannt sind, doch im Rhythmus von Rockmusik.

Die Bilder steigern sich zu Tableaus aus Trivialem und Bedeutungsvollem (Cynthia Lennox), machen »Mixed Media«mit Mitteln der Malerei. Es ist wie die Verschiebung von Rock zu Techno Music: Sound-Tracks lösen Melodien ab, alles wird sehr abstrakt und gleichzeitig sehr konkret, digitalisiert und dennoch emotional. Die Farbe spielt vorübergehend keine Rolle, Schwarz und Rot sind Markierungen, so wie man Kabelbäume aus sachlichen Gründen farblich unterscheidbar macht. Systeme werden überlagert, Bilder zu Speicher(chips). Der Künstler stellt seine Übertragungswege zur Verfügung für die Bilder-Viren. Baupläne mutieren zu einem Logo, archaische Muster werden durch den Kontext zu nicht mehr decodierbaren Codes, denn im Sturm der Kultur ging der Kult verloren:
»Genau wie die schmarotzenden Viren scheinen Bilder und Begriffe lebensunfähige Organismen zu sein, mit ärmlicher Ausstattung, ohne die Fähigkeit, Energie aus sich selbst gewinnen zu können und die uns deshalb als Wirtszellen zum Überleben brauchen.« 2)

Wolf Sakowski nimmt die Welt als ein Modell aus vielen Systemen in seine Bilder auf. Er versteht sich nicht mehr im klassischen Sinn als »Wächter der Symbole«, er bietet Konfigurationen aus Symbolen und ist Erfinder neuer Konstellationen. Somit trifft auf ihn zu, was Luhmann 3) als Weltkunst beschreibt:

»Wir verstehen unter 'Weltkunst' nicht eine Kunst, die die Welt auf überlegene Weise repräsentiert, sondern eine Kunst, die die Welt beim Beobachtetwerden beobachtet und dabei auf Unterscheidungen achtet, von denen abhängt, was gesehen und was nicht gesehen werden kann.«

Den zahllosen Systemen gegenüber, auf die er anspielt, handelt es sich um eine Unabhängigkeitserklärung; Maschinen, Hardware wird assoziativ vernetzt , wird dokumentiert (d.h. ihre Abwesenheit wird mit dem Schein der Anwesenheit gefüllt, vergl. John Berger), sie wird als ein Stück Malerei gesehen, wie sie nie existierte (eine Frage des Bewußtseins), Systeme der Technik werden somit rückgebunden als ein Stück Geschichte und als ein Kommentar zur Gegenwart.

Text von Hans-Peter Miksch

1) Fritz J.Raddatz, Matta. in: ZeitMagazin Hamburg, 15.10.1992/S. 66ff.
2) Fritz Balthaus, Virus, Virus, wo sind deine Regionen. in: Wolkenkratzer 4/1989/S.28-29
3) Niklas Luhmann, Weltkunst. in: ders., Unbeobachtbare Welt. Bielefeld 1990

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