Encyclothek

"Ausgewählte Objekte aus der Sammlung Fukurô"
Kunsthaus Nürnberg, 19.1. - 18.3.2012

An Superlativen mangelt es in dieser kuriosen Ausstellung kaum: gezeigt wird die angeblich "bisher größte öffentliche Präsentation" aus dem Nachlass des Alleinerben, einem japanischen Feudalherren aus der Großindustriellendynastie: der - so wird behauptet - 2010 verstorbene Sammler Yasha Fukurô, der allerdings - und wer es bis jetzt nicht gemerkt hat - nur eine reine Fiktion ist. Also, alles nur eine Vortäuschung falscher Tatsachen? Im Prinzip fast gänzlich ja, allerdings eine so raffinierte und aufwendige, dass man sich gerne auf dieses Spiel von Lug und Trug einlässt und am Ende nicht mehr so sicher ist, ob nicht doch auch der ein oder andere Bezug korrekt ist oder ob es dieses Phantom aus Nippon vielleicht doch gegeben hat.

Was wird da nicht alles aufgefahren an Objekten, Schaustücken und Konstruktionen, die allesamt etwas Schlüssiges haben und auf mögliche Utopien oder historische Querverweise deuten, die zwar für sich genommen durchschaubar sind, allerdings im Kontext des Ganzen eine scheinbare Einheit bilden. Die Künstler Matthias Böhler, Sebastian Hein und Christian Orendt haben sich dieses Projekt mit einem beeindruckenden Hintergrund-Wissen ausgedacht - die aufwendigen Objekte steuerten außer ihnen fünf weitere eingeladene Künstler mit bei, die künstlerische Urheberschaft war in diesem Fall offenbar eher zweitrangig, da sie mehr oder weniger unter dem Deckmantel der angeblichen Sammlung verschleiert wird.

In einer Vitrine sind die vermeintlichen Lieblingsstücke des gutaussehenden Weltenbummlers (tatsächlich wird da auch ein Foto präsentiert) liebevoll aufbereitet: Simpel gestaltete Püppchen mit Zauberkraft liegen da in geordneter Reihung auf, ein alter Malkasten oder Ritualobjekte befinden sich in Schaukästen, einige Amulette sollen aus dem brasilianischen Amazonasgebiet stammen. Witzig sind die jeweils detaillierten Angaben, etwa dass eine Figur aus Papierabfällen von Fukurô 1979 bei einem Straßenhändler in New York erworben wurde. Neben so kuriosen Objekten wie dem schmerzhaften "Geradehalter" eines Orthopäden aus Leipzig, geweihten (Elfenbein-)Nägeln aus dem Elsass des 16. Jahrhunderts oder einer "Origami-Armee", die bei einem Nachbarschafts-Flohmarkt in Montreal erworben worden sein soll, kann man sich auch noch mit den eigenen künstlerischen Ambitionen des passionierten Sammlers auseinandersetzen: Mit Tuschefarben und handgefertigten Actionfiguren träumte sich Fukurô in sein Alter Ego - dem "Owlman" - einer maskierten Rächer-Gestalt. Auch private Erinnerungsstücke (etwa das ehemalige Feriendomizil Yasha Fukurôs in einem Bergdorf bei St. Ulrich in Südtirol) sind auf Fotos und privaten Videomitschnitten vertreten. Im Gang ist das (in einer Aufzeichnung gesprengte) Modell des Familienwohnsitzes des Sammlers zu bewundern.

In dieser Wunderkammer kommt eben auch der neuzeitliche Filmbezug nicht zu kurz: Der Münchner "Regisseur" Felix Burger (Meisterschüler von Stephan Huber) wirkt mit einem Filmbeitrag über das angebliche Anwesen der Familie mit und darf auf seine "Begegnung mit Richard Wagner" aufmerksam machen oder ein dänisches Filmemachertrio mit Plakaten werben. Fukurôs Interesse für technische Gegenstände dokumentiert ein Raum mit Resten eines Rennboots (von  Benjamin Greber ursprünglich geschaffen und vor Ort zerstört). Ein weiterer spielt mit Zelten (von Stefan Eichhorn konzipiert) auf das Werk Richard Buckminster Fullers an, dessen Kuppelbauten mit dreiecksförmigen Strukturen von einer Aussteigerkolonie in Drop City, Colorado weiterentwickelt wurden. Auf das aberwitzige Projekt "Atlantropa" von Herman Sörgel, der in den 20er Jahren mit einem riesigen Staudamm das Mittelmeer absenken wollte, verweist ein Modell in der nächsten Kammer (auch dieser Architekt hat tatsächlich existiert). Verwiesen wird vor allem auf die Utopie eines Zentralbaus (Encyclotheque"), das einem universellen Fachwissen Rechnung tragen soll, ein Synonym für dieses Ausstellungsprojekt.
Der letzte Raum gipfelt in einem Szenario vom apokalyptischen "Ende eines neuen Zeitalters". In einem bühnenartigen Schaukasten wird die Sinnlosigkeit kriegerischer Handlungen vorgeführt. Die Kämpfer aus Pappmaché bringen sich mit Lanzen gegenseitig um - ein Heldentod als sinnlose Farce. Was natürlich nicht von dieser Ausstellung gesagt werden kann: Sie ist sozusagen ein Lehrbeispiel für ein umfassendes Konzept mit aufwendiger Ausstattung und Information. Also in jedem Fall fast so etwas wie ein Superlativ!

Im Juni wird ein Katalog im Graef-Verlag mit voraussichtlich über 100 Seiten erscheinen.

KUNSTFORUM INTERNATIONAL, Band 215, 2012 - Martin Blättner

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