Ausstellung "Komm auf den Boden, Liebling" im Kunsthaus Nürnberg
Ehe der Besucher zur Kunst gelangt, schreitet er im Kunsthaus Nürnberg durch die Lichtsäulen des Künstlers Ladislav Zajac - und muss sich entscheiden, ob er sich an die Pfeiler der gotischen Dome von St. Sebald und St. Lorenz in Nürnberg oder an die Lichtdome von Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm "Triumph des Willens" erinnert fühlt. In jedem Falle erwarten ihn danach Kunstwerke mit politischem Tiefgang, wenngleich ihn der Titel der jüngsten Ausstellung des (städtischen) Kunsthauses auf eine andere Fährte locken will: "Komm auf den Boden, Liebling!".
Aber so lieblich sind die Arbeiten der sieben Künstler dann gar nicht, die ihre Kunst nicht an die Wand hängen, sondern auf dem Boden ausbreiten. Bei Thomas Kilpper fallen die Buchstaben "buchstäblich" von den Wänden, an denen man dann in Konturen noch lesen kann "Who killed Elisabeth v. Dyck", eine Anspielung auf die 1979 in Nürnberg erschossene RAF-Terroristin, die bei ihrer Festnahme in den Rücken geschossen wurde, was den bis heute nicht restlos aufgeklärten Fall in den Verdacht geraten ließ, dass sie quasi einer "politischen Hinrichtung" zum Opfer fiel.
Auf ein nicht minder berüchtigtes Kapitel der jüngeren Nürnberger Geschichte geht auch Thomas May in seiner Rauminstallation "1000 Pionierpflanzen" ein, deren nachgemalte Blätter - an Angelhaken aufgehängt - er mit Angelschnüren wie ein Gitter im Raum verspannt: die Pionierpflanzen, die vor allen in vegetationsfreien Habitaten am besten gedeihen und anderen Pflanzen den Weg bereiten, finden sich zuhauf in dem "1000-jährigen Gemäuer" auf dem ehemaligen Reichparteitagsgelände der Nazis in Nürnberg, wo über die verfallenen NS-Bauten langsam Gras wächst. Auf der stilisierend nachgebauten Führerkanzel mitten im Raum kann man dann die künstlerische Vegetation der Pionierpflanzen sozusagen aus der Sicht des "Führers" von oben betrachten, der dort alljährlich Heerschau hielt und auf seine zur Masse erstarrte Volksgemeinschaft blickte.
"Aber wer wird denn angesichts solcher historischer Katastrophen gleich an die Decke gehen?", fragt der Künstler Daniel Hörl den Besucher mit dem bekannten Slogan des HB(Zigaretten)-Männchens in seiner Arbeit, in der in der transparenten Nordhalbkugel der Erde wie im Blaulicht der Feuerwehr das Alarmsignal rot aufleuchtet und die Polschmelze, den Klimawandel und die eskalierenden Umweltkatastrophen als letzten "Alarm" vor dem Untergang der Menschheit wie ein Menetekel symbolisch an die Wand malen, aber buchstäblich auf dem Boden "erden".
4. Februar 2011
Donaukurier Ingolstadt - F.J. Bröder
11. Februar 2011
Bayerische Staatszeitung - F.J. Bröder