Fragenzeichner im Bodensatz

Ach du armer Boden! Stets wirst du mit Füßen getreten, mit Straßendreck geschmirgelt, mit Kippen vollgeascht, mit Flecken besudelt. Kaum, dass dich die Kunst würdigt. Höchstens Mosaikleger und Straßenmaler nehmen sich Deiner an.

Und wenn ein Künstler ein Mandala in allen Regenbogenfarben am Eingang zur Ausstellung im Kunsthaus Nürnberg platziert, dann steigen die Leute ebenfalls darauf. Aber zugegeben: Das Mandala gemahnt wirklich an die Dekoration einer Spieleecke im Kindergarten.

"Komm auf den Boden, Liebling!", lockt der Titel der Ausstellung. Gerne wollen wir dem Folge leisten, aber dann werden wir doch auf Abstand gehalten. So spannt Thomas May "1000 Pionierpflanzen" an hauchdünnen Schnüren durch den Raum. Die Blätter sind nicht echt, sondern handgemalt und schweben in Reih und Glied in drei Etagen bis in Kniehöhe über dem Boden. Podeste eröffnen dem Besucher einen Zugang in den Raum. Wer sich aber erdreistet, herabzusteigen, riskiert die Zerstörung der fragilen Hängung. Mays Arbeit gründet in Historie , Politik und Kontrast: Wie die Pionierpflanzen die Architektur der Nazi-Bauwerke aufbrechen und fragile Botanik massive Klötze ins Wanken bringt, so streut der Künstler ein paar Ausreißer unter seinen Blättern ein, die aus dem faschistoiden Muster ausbrechen. Die aber muss man suchen.

Auch Thomas Kilpper geht in die Geschichte zurück, auch hier muss der Besucher auf Abstand gehen, um die Arbeit zu würdigen. "Who killed Elisabeth van Dyck" ist als Schriftzug in meterhohen Lettern in die Raufasertapete geschnitten. Die ausgeschnittenen Lettern liegen in Spiegelschrift vor der Wand. Elisabeth van Dyck war eine RAF-Terroristin, die im Mai 1979 in Nürnberg von der Polizei getötet wurde.

Erschossen in der Stephanstrasse

Van Dyck starb durch Schüsse - offenbar durch die Wohnungstür und in den Rücken. Diese Umstände, und der Fakt, dass eine öffentliche Untersuchung derselben unterblieb, hatten damals Unruhe provoziert. Sind einem Polizisten die nerven duchgegangen? Oder handelte es sich um eine Quasi-Hinrichtung?

Kilpper wirft nicht nur eine Frage auf - er schneidet sie im wahrsten Sinne des Wortes in die Wand. Andererseits zeigt Kilpper das Vergessen auf, indem die Lettern wie Abfall auf dem Boden liegen. Auf einer dritten Ebene macht er die Komplexität der simplen Frage transparent. Der Besucher muss die Lettern in Spiegelschrift dechiffrieren - und am Ende steht immer noch offen: Wer und warum?

Ohne Oben kein Unten. Wo Boden ist, ist auch Decke. Oder Himmel. Ladislav Zajac arrangiert im Flur eine Flucht aus acht Lichtsäulen. Zwölf Aluminiumstreifen pro Skulptur spannen sich von der Decke bis zum Boden und bilden eine konische Säule. Oben strahlt ein Scheinwerfer Licht zum Boden. Der Anblick löst Empfindungen von Stabilität und Fragilität gleichzeitig aus - und wirkt wie eine ironische Umkehrung der Lichtdome der Reichsparteitage.

Mehr mit den Wänden beschäftigt sich Daniel Hörl. Sein Raum wirkt wie das KOMM vor der Renovierung: Der (gemalte) Siff von Jahrzehnten an der Wand, darauf die lichten Schatten von Mobiliar.

Auch Michael Schrattenthaler zollt der Geschichte Tribut. Den verkleckerten Werkstattboden seines Vaters hat er auseinandergenommen und Diele für Diele im Fischgrätenmuster gutbürgerlicher Täfelung neu arrangiert. Verblüffend: Der Fussboden wirkt, als sei er unverändert.

3. Februar 2011
Nürnberger Zeitung - Reinhard Kalb

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