Kunsthaus Nürnberg: "Farbe und Geometrie"
Im Kunsthaus Nürnberg stellen sich 50 Künstler aus 13 Ländern den Fragen von Form und Geometrie. Die anregende Überblicksschau beleuchtet "Konkrete Kunst der Gegenwart in Europa".
Einen Standpunkt zu haben, ist gut. Ihn manchmal zu verändern, besser. Wer sich direkt vor Gerhard Frömels kleines Objekt aus Aluminium und Acrylfarbe stellt, das leicht von der Wand absteht, sieht ein schwarzes Rechteck. Ein Schritt nach links, und die Kanten verschieben sich. Einen nach rechts und das Rechteck tut sich auf - es lässt tief blicken.
Standpunkt, Veränderung und Tiefblick machen "Konkrete Kunst" vielleicht aus. Diese Erfahrung lässt sich jetzt im Kunsthaus Nürnberg mannigfaltig wiederholen. Mit den Werken von 50 Künstlern aus aller Welt ermöglicht die Ausstellung "Couleur et Géométrie - Farbe und Geometrie" eine treffliche Übersicht über die Spielarten der Schönheit zwischen strengen Ordnungssystemen und warmer Poesie.
Da ist zum Beispiel Josef Linschinger. Er treibt es mit den Vokalen bunt. Den Buchstaben A-E-I-O-U hat er Farben zugeordnet, so genannten "Barcodes" gleich. Indem der 1945 geborene Österreicher die Vokalreihen im 90-Grad-Winkel verschoben durch Malerei ersetzt, entsteht ein tief durchrastertes Gitterbild.
Erfreulich beim Betrachten Konkreter Kunst ist, dass Farben und Formen auch dann Wirkung entfalten, wenn man die "Baupläne" nicht kennt. Freilich, für die Künstler selbst ist es gerade das dahinterstehende Ordnungssystem, das letzlich ins Poetische kickt. Nicht zuletzt in den mathematisch grundierten Werken des Nürnbergers Gerhard Hotter (Jg. 1954), der sich den Zahlensystemen des schottischen Denkers Dudley Langford verschrieben hat. Während sich weltweit immer noch Wissenschaftler an der endgültigen Auflösung der von Langford entdeckten Reihung die Zähne ausbeißen, malt sich Hotter mit Hilfe der Zahlenanordnung lieber ein farbiges Hohelied auf die Kunst aus.
Dem nicht genug. Dass die Schau, in der auch die Nürnberger Werke des konkreten Malers Diet Sayler (Jg. 1939) sowie des Textilkünstlers Hanns Herpich (Jg. 1934) zu sehen sind, überhaupt ins Kunsthaus gelangte, ist ebenfalls Hotters Verdienst. Er wurde vom Mitwirkenden zum Mittler.
Ursprünglich wurde die Ausstellung in der französischen Stadt Sens auf Initiative des Künstlers Jean-Pierre Viot konzipiert. Hotter, der zeitweilig in Paris arbeitet, nahm als einer der 50 Auserwählten zunächst die Einladung an, und schließlich den grenzübergreifenden Gedanken: Nach Sens ist die Präsentation nun in Nürnberg, danach in Halle und schließlich im polnischen Kielce zu sehen.
Also strahlen sie darin, die Leuchtstäbe von Miriam Prantl (Jg. 1965), die ständig die Farbe wechseln. Oder die fluoreszierenden Acrylglasmalereien von Hellmut Bruch, in der Licht ohne Strom steckt. Mit Carlos Cruz-Diez (Jg. 1932) ist einer der renommiertesten "Konkreten" dabei, und mit den fein gespannten Draht-Geometrien in Glaskästen von Anneke Klein Kanenberg (Jg. 1961) eine der Filigransten.
Generationenübergreifende Kunst für den Kopf ist das, die aus dem Bauch kommt und üer die Grenzen strahlt.
Christian Mückl - Nürnberger Zeitung vom 19.11.2010