Freies Spiel mit Farbe und Form

Eine spannende Nürnberger Ausstellung zeigt die Vielfalt der Konkreten Kunst

So populär wie die gegenständliche Malerei ist die Konkrete Kunst nie gewesen. Dass sie weit mehr Facetten hat, als es ihre Festlegung auf streng geometrisches Denken einst verhieß, hatte in Nürnberg von 1980 bis 1990 die hochkarätige, von Diet Sayler initiierte Ausstellungsreihe "konkret" gezeigt. Im Kunsthaus geben nun 50 Künstler aus 13 Ländern Einblick in die aktuelle Vielfalt der vor 80 Jahren begründeten Kunstrichtung.

"Konkrete Kunst steht heute nicht mehr im Fokus, aber sie ist die dauerhafteste und beständigste Kunstrichtung", betont Gerhard Hotter. Er hat die Ausstellung aus dem französischen Sens nach Nürnberg geholt und dafür gesorgt, dass sie zuvor in Halle zu sehen war und anschließend ins polnische Kielce wandert. Als Grund für die Beständigkeit nennt der Nürnberger Maler ihre Reinheit und Klarheit und ihr Bestreben, etwas Geistiges und Essentielles sichtbar machen, das jenseits der sichtbaren Welt liegt.

Das sind Leitgedanken, die schon Theo van Doesburg 1930 in seinem Manifest zur "Art Concret" niederlegte und die für ihre Vertreter bis heute gelten.Doch das strenge Farben- und Formenvokabular haben sie längst aufgeweicht. Auch die Kunsthaus-Schau "Farbe und Geometrie"präsentiert sich im besten Sinne bunt. Künstler, die wie Hotter nach mathematischen Zahlensystemen arbeiten - sein riesiges Querformat "Dawn" zeigt eine Reihung orangefarbener Quadrate, die an eine abstrahierte Skyline erinnert -, treffen auf "Konkrete", die keine Scheu vor Emotionen mehr haben.

Jean-Pierre Viot etwa, der das Ausstellungsprojekt in Frankreich auf den Weg brachte, führt feine Halbkreisstriche auf großzügig weiß belassenem Grund in wunderbar zarter Berührung zusammen. Poesie mit minimalen Mitteln schafft auch die Niederländerin Anneke Klein Kranenberg mit ihren plastischen, geometrischen "Faden"-Zeichnungen zwischen zwei Plexiglasscheiben. Diet Sayler hat sich bekanntlich schon lange vom puristischen Regelwerk seiner Kunst emanzipiert. Sein großes Diptychon, von dessen Bildrändern sich die blauen Balken schräg auf den dunkelroten Bildrund schieben, verbindet sinnliche Farbschönheit mit der Dynamik der scheinbar zufällig platzierten Form. Künstler wie Marie-Thérèse Vacossin oder Carlos Crus-Diez offenbaren sich als nahe Verwandte der Op-Art. Vor allem der in Paris lebende Venezolaner betreibt in "Physiochromie" ein betörendes, irrlichterndes Farbstreifenspiel. Ganz in der Tradition der konstruktiv-konkreten Kunst wiederum stehen die Gemälde von Jo Niemeyer - seine Farbflächen in Schwarz, Weiß und reinem Rot, deren proportionales Verhältnis dem "Goldenen Schnitt" folgt, sind von größter Harmonie.

Da ist die konkrete Kunst wieder bei ihrer ureigensten reinen Schönheit angelangt.
An die Neon-Kunst von François Morellet erinnert das "Zig-Zag"-Leuchtobjekt von Mitsouko Mori. Wie fließend der Übergang von der geometrischen zur hochästhetischen geschwungenen Form sein kann, demonstriert Alfons Kunen an aufgeschnittenen Aluminiumwürfeln. Bei einigen Künstlern wird aber auch deutlich, wie die regelwidrige Individualität zum allzu Verspielten führen kan. Doch das sind nur kleine Ausrutscher in einer spannenden, facettenreichen Ausstellung. Auch wenn die meisten Teilnehmer in den 30er und 40er Jahren geboren wurden - aus der Mode gekommen wirkt ihre Kunst ganz und gar nicht.

Regina Urban, Nürnberger Nachrichten vom 17.11.2010

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