Wenn einem die Augen übergehen

Gerhard Wendland-Retrospektive im Kunsthaus Nürnberg

"Heiterkeit und Musikalität" bescheinigte man in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts seinen Bildern - und apostrophierte den Künstler Gerhard Wendland als "barocken Klee". An der legendären Kasseler "documenta II" 1959,
die eine erste Bilanz der Kunst nach dem Kriege zog, war er mit drei Bildern beteiligt und hatte sich damit einen Namen unter den "Abstrakten" gemacht. Jetzt richtet das Kunsthaus Nürnberg dem Maler und langjährigen Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg zu seinem 100. Geburtstag mit über 120 Arbeiten eine große Retrospektive aus.

Als Wendland 1960, ein Jahr nach seinem "documenta"-Auftritt, an die Nürnberger Akademie berufen wurde, standen Informel und abstrakter Expressionismus hoch im Kurs - und nicht zuletzt war er es, der die nordbayerische Kunstszene durch seine Bilder mit dieser Nachkriegskunst konfrontierte und vertraut machte; ganz abgesehen davon, dass er bis zu seinem Tode 1986 und vor allem als Akademielehrer auch eine ganze Generation junger Künstler gefördert hatte, die bis heute die regionale Szene prägen.

"Malen ist schwer" betitelte Wendland 1953 eines seiner Bilder; ihm aber fiel es offenbar leicht, zumal er sich am Mainstream der zeitgenössischen Kunst orientierte und von Picasso bis Paul Klee, von Miró bis zur Pop- und Op-Art den künstlerischen Zeitgeschmack in seine Bildwelten übersetzte - und das Figurative exzessiv in der Abstraktion aufgehen ließ. Seine irritierenden "Linienbilder" der 1060er Jahre gehören zum originärsten seiner Malerei - amorph wuchernde Liniengeflechte, bei denen dem Betrachter buchstäblich die Augen übergehen.

Im anthroposophisch geprägten Spätwerk verschwimmt dieses Formenvokabular zu philosophisch-esoterischen Farbschlieren, die als Sonne, Mond und Sterne frei im Raum hängen und die malerische "Himmelfahrt" zur künstlerischen "Höllenfahrt" (so zwei Bildtitel) machen.

FRIEDRICH J. BRÖDER, Bayerische Staatszeitung vom 4.6.2010

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