Sehnsucht nach der Sonne zwischen Genie und Wahn

Dürer ist an allem Schuld: Nachdem das Kulturreferat in diesem Jahr mangels nachweisbarem Kunstwerkjubiläum das Wohn- und Atelierhaus von Nürnbergs künstlerischem Übervater zum Feierobjekt erklärte, zog das KuKuQs-Kunsthaus mit „Lebt und arbeitet in...“ nach.

Und lenkt den Blick weg von der Historie ins Heute. 17 zeitgenössische Künstler, teils in Nürnberg geboren, teils hier geblieben, manche auch nur auf Akademie-Station, umkreisen die Idee vom Lebens- und Arbeitsraum. Gisela Kleinlein, Professorin in Wuppertal, arrangierte Materialien aus ihrem Atelier — aus einer Küchenarbeitsplatte oder aus Dachpappe geschnittene Ringe zum Beispiel — zur raumgreifenden Installation mit fließenden Grenzen zwischen Work in Progress und fertigem Kunstwerk. Stefanie Pöllot zeigt ihr Atelier gespiegelt in einer Glühbirne, Gerlinde Pistner fotografierte ihre Arbeitswohnung in einem Stadtmauer-Turm und malte dazu witzige Rahmen, Stefan Saffer und Ilona Keil hinterfragen mit Gedenktafeln ihren Rang. Ulrich Emmert staffierte sein „Dürer-Hauptquartier“ aus Pappe und Folien mit zahllosen Ölfarb-Tuben und fränkischen Devotionalien aus. Museal auch der Beitrag der „Weltanschauungsbeauftragten“ Martin Fürbringer und Philipp Moll: Die Berufsironiker erfanden den Künstler Heiner Schwitzke und schufen ihm mit gefundenen Objekten eine Identität zwischen Genie und Wahnsinn. Etliche Positionen sprengen den Atelier-Rahmen: Michl Schmidt hat auf sein altes Rad der Fahrradmanufaktur „Albrecht Dürer“, mit dem er einst in die Kunstakademie fuhr, einen Kamera-Kran montiert, Jörg Obergfell ließ sich im selbst genähten King-Kong-Kostüm auf verschiedenen Skulpturen und Architekturen fotografieren, und der Dunkelmaler Mathias Otto führt immer mittwochs ab 22 Uhr zu seinen Motiven.

Bewusst thematisiert die gelungene Rundschau nicht, warum die Künstler in Nürnberg leben oder nach Berlin, London und Wien gegangen sind. Dass sich aber auch Dürer selbst in der Fremde mitunter wohler gefühlt hat als an der Pegnitz, fasst Sabine Richter als Zitat in goldgelbe Buchstaben überm Kopfbau-Eingang. Aus Italien schrieb er: „Oh, wie wird mich nach der Sonne frieren“.

Georg Kasch

Abendzeitung

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