«Lebt und arbeitet in . . .» Das ist die Floskel, die Museumskataloge und Künstlerbiografien ziert wie die Fettquote eine Joghurtverpackung. Das Publikum versucht, meist vergeblich, aus der Ortsangabe Erkenntnis zu saugen. Und mancher Künstler ärgert sich über das bekräftigende «arbeitet» – als ob seine Branche von Natur aus faulenze.
Das Kunsthaus hat mit dieser Formel seine neue Ausstellung betitelt. Sie ist sein Beitrag zum städtischen Dürer-Programm, das 500 Jahre nach Albrecht Dürers Hauskauf zur Meditation über künstlerische Schaffensorte anregen will, etwa am kommenden Wochenende durch Beschuss mit Hunderten «Stadtverführungen». Das Atelier 2009 – ist es das Gehirn, die Straße, die Welt, das Chaos? 19 Bewerber aus 70 ließ die Jury antworten. Alle sind mit Nürnberg verbunden, durch Geburt, Studium oder Werdegang. Zehn leben immer noch hier.
Dem Kunsthaus schenken sie einen Film über Sigmar Polkes Kartoffel-Kreiselapparat (Matthias Klos & Christian Wallner, Filmhaus/Kommkino) und einen norwegischen Fisch im Tiefkühlschrank (Andrea Spreafico). Das abstrakte Thema ließ es befürchten: Die Umsetzung gerät teilweise umständlich. Das fängt schon draußen vor der Touristeninformation an. «Oh wie wird mich nach der Sonne frieren» steht in gelben Lettern an der Fassade. Warum?
Muss der Passant nicht wissen, findet Sabine Richter. Drinnen kann er es nachlesen: Es ist ein Zitat aus einem Brief Albrecht Dürers an Willibald Pirckheimer, inspiriert von der Strahlkraft Italiens 1506 in Venedig. Als «Trendsetter» für Künstlerreisen bewies schon Dürer, dass es für die Erleuchtung kein Atelier braucht.
Während Carsten Recksik und Jörg Obergfell sich als Skulpturen fotografisch inszenieren, Gerlinde Pistner und Stefanie Pöllot originell ihre Arbeits- und Wohnräume abbilden, ironisieren zwei andere den Drang von Museen und Besuchern, unendlich auszustellen und zu besichtigen. Die Akademie-Absolventen Martin Fürbringer und Philipp Moll – die Nürnberger nennen sich «Weltanschauungsbeauftragte» – stellen Leben und Werk des fiktiven Nürnbergers Heiner Schwitzke aus, der offensichtlich Volkskunst aus Eiern bastelte. Unwitzig im Vergleich dazu Peter Wendls Einfall, die Einladung zur Ausstellung in Form einer automatischen E-Mail-Abwesenheitsnotiz zu kontern.
Auf Anhieb zugänglich sind zwei charmant-giftige Projekte von Ilona Keil und Ulrich Emmert. Die Konzeptkünstlerin interviewte Passanten, nachdem sie ein Messingschild neben ihre Tür gehängt hatte: «In diesem Haus wohnt und arbeitet eine unbekannte Künstlerin.» Was hält der Mitbürger davon? «Ja. Cool. Ich find schön da.» Oder: «Oh . . . wir haben so was in Erlangen nicht.» Der in Berlin lebende Emmert hat ein «Dürer-Hauptquartier» gebaut, eine begehbare Butzenscheibenstube, in der sich zu Farbtuben auch Abfall und Souvenirs aus Nürnbergs unrühmlicher Geschichte, Flocke-, Christkind- und Bratwurstbilder gesellt haben.
Immer wieder Dürer – für Helmut Kirsch, der Klangvideos und abstrakte Bilder zeigt, der Beweis, dass in Nürnberg neue Kunst seit jeher «relativ klein geschrieben» wird. «Der Markt findet woanders statt.» Und dennoch: «Ich hab ein Superatelier und eine Idylle hier in Nürnberg!»
Bis 12. Juli, Kunsthaus im KunstKulturQuartier, Königstraße 93, täglich 11–19 Uhr, Eintritt frei.
Führungen 20. und 21. Juni, jeweils 14.30 und 15.30 Uhr. Abendspaziergang mit Mathias Otto jeweils mittwochs, 22 Uhr, Juvenellstraße 50.
Isabel Lauer
NZ