Gebäude, Grünflächen, Plätze und Straßen bilden die Bühne für Denkmäler, Brunnen und Skulpturen, die erinnern, erzählen oder schmücken und dabei stets auch einen Beitrag zur Identität einer Stadt leisten sollen. Ob sie als weithin sichtbare Großplastiken markante Zeichen setzen oder im lebhaften urbanen Gedränge zwischen Geschäften, Passant*innen und Fahrzeugen kaum auffallen: stets sind die Kunstwerke im öffentlichen Raum „in situ“ (lateinisch: „am Ort“) – und dies meist fest verankert in Fundamenten. Doch der Begriff des Ortsspezifischen hat sich in den letzten Jahrzehnten ebenso erweitert und verändert wie die künstlerische Praxis. Das Spektrum reicht von der ausdrücklichen Bindung einer Skulptur an die sie umgebende Architektur über ein diskursives und offenes Verständnis von räumlichen Beziehungen und sozialen Prozessen bis hin zu ortsunabhängigen, handlungsorientierten Formen der Kunst, individuell oder in Kooperation mit anderen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, wie die Beziehungen zwischen Architektur, Kunst und Öffentlichkeit immer wieder neu verhandelt werden, denn deutlicher als im schützenden musealen Rahmen reagiert die Kunst im öffentlichen Raum auf die gesellschaftliche und soziale Realität. Die Orte, Plätze und Straßen im städtischen Gefüge unterliegen im Laufe der Zeit gewaltigen Veränderungen durch Gentrifizierung, Klimawandel, Ökonomisierung oder Verkehrsverdichtung. Hier wieder neue Freiräume oder Strukturen für soziale Teilhabe und kreative Prozesse der Stadtentwicklung zu schaffen, kann auch Teil der künstlerischen Aufgabe sein.
Die Ausstellung In Situ? Über Kunst im öffentlichen Raum in der Kunsthalle Nürnberg nimmt das 50jährige Jubiläum des Symposion Urbanum Nürnberg 71 als Ausgangpunkt, betrachtet es im Kontext der gesellschaftlichen und künstlerischen Aufbruchsstimmung und zeigt, wie nah Nürnberg damals am Puls der Zeit war. Als eine der ersten Veranstaltungen, die internationale Gegenwartskunst in den öffentlichen Raum brachte, löste das Symposion heftige Diskussionen und Reaktionen aus. Dennoch bereichern noch heute 26 der ehemals 29 Werke die Stadt: Autonome und ortsspezifische Plastiken, konkrete Kunst vor städtischen Neubauten, Mahnmale und Spielskulpturen auf Schulhöfen.
Über fünf Jahrzehnte schlägt die Ausstellung den zeitlichen Bogen in die Gegenwart mit – ebenfalls 26 – ausgewählten Beispielen der Kunst im öffentlichen Raum, darunter repräsentative Großplastiken, partizipative Projekte und temporäre Aktionen. Da die Originalwerke aufgrund ihrer Dimensionen und Anbindung an den jeweiligen Ort in situ bleiben müssen oder zum Teil nicht mehr existieren, werden sie in der Ausstellung mittels Fotografien, Drucken, Modellen, Filmen, Zeichnungen und von den Künstler*innen selbst entwickelten Installationen vorgestellt.
Der Ausstellungsparcours beginnt mit ortsspezifischen Großplastiken aus vier Jahrzehnten, die als repräsentative Kunst-am-Bau-Projekte für neue öffentliche Gebäude entstanden sind. Monica Bonvicini, Tony Cragg, Erich Hauser und Olaf Metzel beziehen sich mit ihren Werken explizit auf die spezifische Architektur und Funktion der Bauwerke, geben ihnen jedoch auch zusätzliche Bedeutungsmöglichkeiten und kritische Interpretationsebenen mit.
Auf einem erweiterten Kunstbegriff, bei dem die künstlerische Situation eng mit der sozialen, kulturellen und politischen Realität verwoben ist, basierte das Konzept der documenta 5. Hier wies die Künstlergruppe Haus-Rucker-Co mit ihrer Oase Nr. 7 schon 1972 auf die zunehmende Luftverschmutzung hin, und nur zehn Jahre später thematisierte Joseph Beuys auf der documenta 7 mit seinem partizipativen Kunstwerk 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung (1982–1987) ökologische Fragestellungen.
Auch klassische Gattungen der Kunst im öffentlichen Raum, wie Denk- und Mahnmale, werden immer wieder durch neue Konzepte erweitert: Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz schufen mit dem Mahnmal gegen Faschismus (1986–1993) auf dem Harburger Rathausplatz ein 12 Meter hohes Monument, das in acht Stufen in den Boden abgesenkt wurde. Die Bevölkerung war eingeladen, sich mit Unterschriften oder Kommentaren in die Oberfläche einzuschreiben und dadurch neue, persönliche Erinnerungen hinzuzufügen. Michaela Melián konzipierte mit ihrer Audio-Installation Memory Loops in München 2011 das erste Mahnmal für die Opfer des Faschismus im virtuellen Raum des Internets. Und nicht zuletzt bilden heute die sozialen Netzwerke einen unendlich erweiterten öffentlichen Raum, in dem sich Bilder wie das Graffiti, das eine anonyme Künstlergruppe 2020 als Regenbogen-Präludium auf die Pilaster der Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg gesetzt hatte, ungeheuer schnell verbreiten und verstetigen.
An der Schnittstelle von Design und Kunst sind begehbare Architekturen wie die Pavillons von Dan Graham und Olaf Nicolai angesiedelt. Sie schaffen Strukturen im Stadtraum, die frei von kommerziellen Zwängen als Orte der Kommunikation, des Spiels oder als soziale Treffpunkte genutzt werden können.
Die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg wird ergänzt durch temporäre Installationen im Außenraum von Nasan Tur und Ina Weber. Zudem werden neue Werke von Winfried Baumann, Dagmar Buhr, Alexander Laner, missing icons, Kasia und Olaf Prusik-Lutz und Anja Schoeller vorgestellt, denen Passant*innen in Nürnberg bereits jetzt und zukünftig begegnen werden. Sie sind Teil einer Initiative des städtischen Planungs- und Baureferats, das zeitgenössische Kunst ganz im Sinne des Symposion Urbanum Nürnberg 71 bei der Aufwertung und Neugestaltung von Orten und Plätzen in Nürnberg in den nächsten Jahren stärker einbeziehen wird.
Die Ausstellung findet im Rahmen des vom Planungs- und Baureferat der Stadt Nürnberg initiierten und geförderten Großprojektes Symposion Urbanum Nürnberg statt. Sie wird kuratiert von Ellen Seifermann. Der in die Ausstellung integrierte Teil zum Symposion Urbanum Nürnberg 71 wird kuratiert von Susann Scholl.
Ausgestellte Künstler*innen: Arquus, Winfried Baumann, Joseph Beuys, Monica Bonvicini, Dagmar Buhr, Christo, Tony Cragg, DAF – Dynamisch Akustische Forschung mit Michael Akstaller und Jan St. Werner, Jochen Gerz und Esther Shalev-Gerz, Dan Graham, Hans Haacke, Erich Hauser, Haus-Rucker-Co, Barbara Kruger, Alexander Laner, Michaela Melián, Olaf Metzel, missing icons, Olaf Nicolai, Kasia und Olaf Prusik-Lutz, raumlaborberlin, Michael Sailstorfer, Anja Schoeller, Nasan Tur, Ina Weber
Symposion Urbanum Nürnberg 71: Hiromi Akiyama, Andreu Alfaro , Joachim Bandau , Raffael Benazzi , Marian Bogusz, Hans-Jürgen Breuste, Nicola Carrino, Davite, Haus-Rucker-Co, Erich Hauser, Japanisches Bildhauerteam, Leo Kornbrust, Alf Lechner, Ansgar Nierhoff, Karl Prantl, Barna von Sartory, Buky Schwartz, Hein Sinken, Maciej Szańkowski, Mitsuyuki Takeda, Hajime Togashi, Günter Tollmann, A. D. Trantenroth, Wilhelm Uhlig, Joachim Wolff.
Anlässlich des 50jährigen Jubiläums wurde eine Website zur Kunst im öffentlichen Raum in Nürnberg freigeschaltet, die alle Symposions-Künstler und ihre in Nürnberg entstandenen Werke sowie auch die aktuellen, in Zusammenarbeit mit dem Planungs- und Baureferat neu entstandenen und noch geplanten Kunstprojekte vorstellt.
Ebenfalls im Rahmen des Großprojektes war bis 07. November im Neuen Museum – Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg die Ausstellung Art Attacks! 50 Jahre Kunst im öffentlichen Raum Nürnberg zu sehen.
Vom Freitag, 22. bis Sonntag, 24. Oktober famd im Neuen Museum Nürnberg sowie im Historischen Rathaussaal des Alten Rathauses in Nürnberg die Tagung Public Art. Das Recht auf Erinnern und die Realität der Städte statt. Die internationale Konferenz nähert sich der Gegenwart und Zukunft von Kunst im öffentlichen Raum im Lichte aktueller Debatten um die Vergangenheit an.
Die Teilnahme ist kostenlos und kann sowohl vor Ort wie auch hybrid stattfinden. Anmeldung unter: E-Mail: meeting-sun@stadt.nuernberg.de.
Buildings, green spaces, squares and streets provide the stage for monuments, fountains and sculptures that remind us, tell stories or simply decorate a city, always intended to contribute to its identity. Whether they are large sculptures that can be seen from far away and make a striking statement, or are barely noticeable in the lively urban throng of shops, passers-by and vehicles: works of art in public space are always “in situ” (Latin for “in place”) – and generally firmly anchored in foundations. Yet the concept of the site-specific has been expanded and altered in recent decades, as has art practice. The spectrum now ranges from the explicit fixing of a sculpture in its ambient architecture to a discursive, open understanding of spatial relationships and social processes and even to site-unspecific, action-oriented forms of art, implemented individually or in cooperation with others. Not least, this is about how the relationships between architecture, art and the public sphere are constantly being renegotiated, because art in the public sphere – more than in the protective framework of a museum – reacts and responds to social reality. The locations, squares and streets within the fabric of a city are subject to enormous changes over time as a result of gentrification, climate change, economisation or traffic congestion. Creating new open spaces or structures here for social participation and creative processes of urban development may also be part of the artistic assignment.
The exhibition In Situ? On Public Art at Kunsthalle Nürnberg takes the 50th anniversary of the Symposion Urbanum Nürnberg 71 as its starting point, considering this in the context of a social and artistic mood of departure, and demonstrating how closely in step with the times Nuremberg was back then. As one of the first events to bring international contemporary art into public space, the symposion triggered fierce discussions and reactions. Nevertheless, 26 of the former 29 works still enhance the city today: autonomous and site-specific sculptures; concrete art in front of innovative urban buildings; memorials and play sculptures in schoolyards.
Spanning five decades, our exhibition bridges the time gap to the present with – again 26 – selected examples of art in public space, including representative large-scale sculptures, participatory projects and temporary actions. Since the original works need to remain in situ due to their dimensions and site-specific connection, or in some cases no longer exist, they are presented in the exhibition by means of photographs, prints, models, films, drawings and installations developed by the artists themselves.
A tour of the exhibition begins with site-specific, largescale sculptures from four decades that were created as representative art-in-architecture projects for new public buildings. Monica Bonvicini, Tony Cragg, Erich Hauser and Olaf Metzel explicitly refer to the particular architecture and function of those buildings with their works, but also add fresh possibilities of meaning and levels of critical interpretation.
The concept of documenta 5 based on an expanded understanding of art whereby the artistic situation is closely interwoven with social, cultural and political reality. Here, the artists’ group Haus-Rucker-Co pointed to increasing air pollution with their work Oasis No. 7 as early as 1972, and only ten years later Joseph Beuys addressed ecological issues at documenta 7 with his participatory artwork 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung (7000 Oaks – Urban Forestation instead of Urban Administration) (1982–1987).
Classic genres of art in public space, such as memorials and monuments, also expanded upon repeatedly with innovative concepts: Jochen Gerz and Esther Shalev-Gerz, for example, created the Monument against Fascism (1986–1993) on Harburg’s town hall square – this was a 12-metre-high monument that was lowered gradually into the ground in eight stages. The local people were invited to inscribe their signatures or comments on the surface, so adding new, personal memories. Michaela Melián conceived the first memorial for the victims of fascism in the virtual space of the internet with her audio installation Memory Loops in Munich in 2011. And last but not least, today social networks create an infinitely extended public space, in which images like the graffiti that an anonymous group of artists placed – as Rainbow Prelude – onto the pilasters of the Zeppelin grandstand on Nuremberg’s former Nazi Party Rally Grounds in 2020 can spread and perpetuate themselves remarkably quickly.
At the interface of art and design there are walk-in architectures such as the pavilions by Dan Graham and Olaf Nicolai. They create structures in urban space that can be used free of commercial constraints as places of communication, play or social meeting spaces.
The exhibition at Kunsthalle Nürnberg is complemented by temporary outdoor installations by Nasan Tur and by Ina Weber. In addition, new works by Winfried Baumann, Dagmar Buhr, Alexander Laner, missing icons, Kasia and Olaf Prusik-Lutz and Anja Schoeller will be presented: passers-by will encounter them in Nuremberg today and in the future. They are part of an initiative of the city’s planning and building department, which, in the spirit of the Symposion Urbanum Nürnberg 71, will involve contemporary art more decidedly in the upgrading and redesign of locations and squares in Nuremberg over the coming years.
The exhibition takes place within the framework of the major project Symposion Urbanum Nürnberg, which was initiated and funded by the Planning and Building Department of the City of Nuremberg. It is curated by Ellen Seifermann. The part of the Symposion Urbanum Nürnberg 71 that is integrated into the exhibition is curated by Susann Scholl.
Also as part of the major project the exhibition Art Attacks! 50 years of art in public space in Nuremberg (until November 14th) can be seen at Neues Museum – State Museum for Art and Design Nuremberg.
From Friday, October 22nd to Sunday, October 24th, 2021 the conference Public Art. The Right to Remember and the Reality of Cities will take place in the Neues Museum in Nuremberg and in the historic city hall of the Old Town Hall in Nuremberg. The international conference approaches the present and future of art in public space in light of current debates about the past.
Participation is free and can take place on site or in hybrid form. Registration at: E-Mail: meeting-sun@stadt.nuernberg.de.