Die WM-Ausgabe der Ausstellungsreihe "positionen + tendenzen"
Nürnberger Nachrichten, 24. 5. 2006
Nicht einmal Max Morlock ist der Verwüstung entkommen. Sein Porträt ist am Kopf eingerissen, jetzt sieht der aus wie ein blutendes Teufelchen – um ihn herum ein Schlachtfeld aus zertrümmerten Tischen und Stühlen, Glasscherben, zerfetzten Deutschlandflaggen und beschmierten Trikots. Der Boden klebt, es müffelt nach Bier. "Wenn die Kampftrinker in der Fankneipe richtig zugeschlagen haben, sieht es noch viel schlimmer aus", weiß Ulrich Emmert, selbst einst Mitbegründer eines Fanclubs und bekennender Anhänger des 1. FCN.
Emmert ist einer von 26 Künstlern, die bei der vom Nürnberger Kunsthaus, dem Institut für moderne Kunst und dem Kunstverein Albrecht-Dürer-Gesellschaft organisierten WM-Ausgabe der Ausstellungsreihe "positionen + tendenzen" antreten. Im Fußballjahr dreht sich hier alles um das runde Leder, unter dem Titel "Die Schönheit der Chance" wird der grüne Rasen zum Spielfeld einer international aufgestellten Kunstmannschaft, die das sportliche Sujet aus den verschiedensten Perspektiven beleuchtet.
Emmerts Kneipenszenario ist nah am echten Fanleben, doch die Kritik zielt auf die Gegenseite – auf Fifa-Oberhoheit, Sicherheitswahn, Ticketvergabepraxis und Prosecco schlürfende VIPs. "Der so genannte Prolet, der den Fußball groß gemacht hat, wird immer mehr aus den Stadien gedrängt", meint Emmert, der seine Installation als Hommage an echte Fußballleidenschaft versteht. Mit soviel ehrlichem Zorn geht sonst keiner der Mitspieler ans Werk. Vielmehr überwiegt die Ironie, etwa in Fredder Wanoths Stadionmodell, das der Künstler als "eine Mischung aus großer Dose, Festung und Mississippi-Dampfer" beschreibt. Oder der spielerische Umgang mit dem Ball, der bei dem ukrainischen Star-Fotografen Boris Mikhailov zum Spielball für intime Begegnungen wird. Zusammen mit der Japanerin Fumie Sasabuchie, die den Blick durch Übermalung sportlicher Model-Körper aufs verletzliche Innere lenkt, ist mit diesem Künstleraufgebot im Zumikon eine runde Sache gelungen.
Das kann man von der Präsentation im ADG-Kunstverein nicht durchweg behaupten. Hier wirkt manches arg spröde. Doch das "Superdome"-Labyrinth von Michael Franz und Jochen Lüftl, das einer Mischung aus Büro-Container, Barockgarten und Spielfeld ähnelt, führt gekonnt auf kafkaeskes Terrain. Zeit nehmen sollte man sich für Michael Kerkmanns Sammlung von Zeitungsfotos. Wie ein Verhaltensforscher entlarvt der Kölner die ritualisierten Gesten und Posen und die von den Medien forcierte Selbstinszenierung der Fußballstars.
Eine ganze Reihe von Spitzenspielern der "p + t"-Schau findet man im Kunsthaus, darunter mit Raymond Cuijpers einen echten Profi, der es fast bis in die holländische Nationalmannschaft gebracht hätte. Seinen Abschied vom Fußball hat er in ein poetisch-romantisches Video übersetzt. Köstlich anzusehen ist der Film "Fusion" der Schweizerin Ingeborg Lüschers, die die beiden Renommierclubs ihres Heimatlandes, die Grasshoppers Zürich und den FC St.Gallen, in teuren Business-Anzügen aufs Spielfeld schickt. So elegant kommt Fußball selten daher, zugleich wird offenbar, wie sich die Regeln gleichen. Am Ende gewinnt immer der Stärkere – ob im Fußball oder an der Börse.
Im Kunsthaus sind die Videokünstler klar in der Überzahl, und die überzeugen durch originelle Perspektiven, die Spieler-, Trainer- und Fanverhalten gerne ad absurdum führen. Doch auch stickend oder mit skurrilen Statistiken kann man sich der Ballkunst nähern. Eine insgesamt gelungenen Schau, bei der die Kunsthaus-Station für die spannendsten Momente sorgt.
Regina Urban