Abendzeitung, 24./25. Mai 2006
Teamgeistreich: die Kicker-Schau "Schönheit der Chance"
Wenn Trainer im leeren Stadion am Rande des Nervenzusammenbruchs herumfuchteln, lauter kleine Ackermänner mit Schlips und Kragen das Foulspiel über den Kampf suchen und der bange Bürger träumt, dass Bayern München einen Bomber von Al Quaida verpflichtet, stellt sich natürlich – wie bei einer Karikatur der Aschaffenburger Greser & Lenz zu lesen – die Frage: "Macht der viele Fußball die Menschen verrückt?" Die Antwort kennt nur die Fifa. Für die nötige Unterhaltung sorgt einstweilen in Nürnberg die dreisprungkräftige Sonderschau "Die Schönheit der Chance". Die WM-Ausgabe der Kunst-Triennale "Positionen + Tendenzen" ist mehr als nur Ergänzung zu Metzel & Co., bezieht teamgeistreich Position und fährt Tendenzen nach. Fußball ist doch ein Wunschkonzert.
Es geht um Posen, Gesten und Gefühlsrituale, um Geschäftemacherei und Gschaftlhuberei, um abenteuerliche Dressurnummern im Medienzirkus und die Flucht in die Fankurve, dort wo die ausflippende Aufregung so folgenlos bleiben darf. Die 28 Künstler der Heimmannschaft und der Gäste leisten sich Doppelpässe der kauzigen, manchmal auch nur absurden Art – ohne regionalspezifischen Leistungsabfall.
Am prolligsten unter den drei Stationen ist das Zumikon geraten, am kompliziertesten die Albrecht-Dürer-Gesellschaft. Im Kunsthaus werden die Räume richtig eng gemacht. Obwohl diese Taktik wohl am ehesten Michael Franz und Jochen Lüftl für sich beanspruchen dürfen, die in den Milchhof ein Spielfeld zum Labyrinth mit Sackgassen, Türen und Mittelkreis samt Plätscher-Brünnlein gebaut haben. Der "Superdome" als Kreuzung aus Rokoko und Ratten-rennstrecke für Gralsbesucher. Martin Hotter, der im Kunsthaus die Fans in Endlosschleife aus dem Depot grölen lässt, verhindert mit Scherben auf dem Boden – "Kick" nennt er diese Jugenderinnerung und unterschlägt das "Run" – Barfußgänger in der Ausstellung, die Videokünstlerin Claudia Kugler lockt in den Keller, wo der Movie-Sound für den "Arena"-Zauber einsam braust. Bemerkenswerter der Ausschnittdienst, den Michael Kerkmann mit seinen Fußballsammelbildchen bietet: ein aus Zeitungen zusammengeschnipseltes Foto-Arsenal der Torjubler, Selbstinszenierer und Ersatzheiligen fürs Welttheater der Gesten.
Vorgestanzten Bild-Abläufen begegnet man auch im Kunsthaus, dem "Salon der Verweigerer", wie der Schotte Roderick Buchanan als trotzige Flaggen-Parole ausgegeben hat. Ingeborg Lüscher treibt in ihrem Video mit Fußballern in Banker-Klamotten ein ebenso doppelbödiges Spiel wie Anders Lutz und Andres Guggisberg: Der Trainer rumpelstilzt seine Anweisungen durchs menschenleere Stadion und wird dadurch als psychischer Sonderfall isoliert. Nicht wieder kurios ist Jochen Flinzer, der sich seine Mannschaften zurechtstickt. Oder Matthias Egersdörfer, der 1800 Begriffe von Abseits bis Zidane zum fränkischen Groß-Gschmarri aufbauscht. Oder Thomas Ganzenmüller mit dem Statistiken-Wahn einer fernen Verwandtschaft zu Stefan Reuter. Und der Holländer Raymond Cuijpers dribbelt sich durch seine Biographie und kickt den Ball schließlich ins Meer – die Flugbahn sein früheres Leben bei einem Erstligisten.
Auch im Zumikon, wo Fredder Wanoth sein schwindelerregendes "Heiland"-Stadion hingebastelt hat und Boris Mikhailov, der berühmte ukrainische Fotograf, alle Einschuss-Varianten vorführt, wirkt die liebevoll hingetrümmerte FCN-Fan-Höhle von Ulrich Emmert eher wie Prügel-Romantik vergangener Butzenscheiben-Tage als herbeigeredeter Hooligan-Horror von heute. Ein Abgesang auf die "Beckenbauerisierung" (Emmert), ein Scherbenhaufen mit Schmackes. Nicht nur da macht "Die Schönheit der Chance" Lust und Laune. Manchmal ist die Schau freilich auch bahnbrechend: Das Kunsthaus ist ab sofort für den Durchgangsverkehr geöffnet.
Andreas Radlmaier