Seit der Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 haben deren Führer immer wieder allem "Alten" den Kampf angesagt. Mehrmals wurden seither Staat und Gesellschaft grundlegend umgewandelt, doch gegen die Strahlkraft einer mehrtausendjährigen Kultur kamen selbst die linientreuesten Revolutionäre niemals an. Zeugnisse dieser bis heute ungebrochenen Tradition auf dem Gebiet der chinesischen Kunst sind die Tuschmalereien von Dong Xiaoming, die jetzt das Nürnberger KUNSTHAUS im Rahmen der Partnerschaftsbeziehungen zur Region Shenzhen zeigt.
Eine ihrer Blütenzeiten erreichte die chinesische Malerei im 12. Jahrhundert unter der Herrschaft der Sung-Dynastie, deren Hauptstadt Hangzhou war. Die dortige Kunstschule bewahrte die Lehren der Sung-Malerei bis in die Jahre nach der so genannten "Großen Proletarischen Kulturrevolution", in denen Dong Xiaoming in Hangzhou studiert hat. Auch er will bis heute die künstlerische überlieferung bewahren, sie aber gleichzeitig für neue Inhalte und bedürfnisse öffnen. So hat er in einem langen Annäherungsprozess nicht nur die alten Materialien und Techniken zeitgemäß verändert und ergänzt, sondern auch die vielschichtige Natursymbolik der historischen Tuschmalerei um einige aktuelle Deutungsmuster erweitert.
Dong Xiaomings Lieblingsthema ist der Lotus, ein Motiv, das einst buddhistische Missionare aus Indien in die chinesische Kultur eingeführt haben. In der Epoche der Sung, in der sich das Volk von ständig wechselnden Machthabern und deren Forderungen bedrängt und unterdrückt sah, symbolsierte die Lotusblüte den Traum von Harmonie und freier Entfaltung.
überträgt man das auf die Gegenwart, dann könnten Dong Xiaomings moderne Lotusdarstellungen also durchaus vorsichtige Distanz andeuten zum heutigen China, in dem sich die maoistischen Staatsfunktionäre die Macht mit den Profiteuren einer "soziozialistischen" Marktwirtschaft teilen.
Tatasächlich ist Dong baer gewiss kein Dissident, sondern hat seit Jahren eine leitende Funktion in der Kulturadministartion von Shenzhen. In der Malerei, mit der er sich wegen seiner vielen öffentlichen Aufgaben zur Zeit meist nur spät nachts beschäftigen kann, sieht er - ganz bürgerlich - eine Möglichkeit, den Mühen und Irritationen des Alltages wenigstens zeitweilig zu entfliehen. Dem entspricht seine meditative Arbeitsweise, die er mit äußerster materieller Reduktion den gröstmöglichen expressiven Ausdruck erzielen will.
Bernd Zachow
Nürnberger Nachrichten vom 5.3.2004