The Female Gaze – A Tribute to Dorothy Arzner
5.9. bis 2.10.2024
Dorothy Arzner war eine bemerkenswerte und in der US-amerikanischen Filmgeschichte einmalige Persönlichkeit – die einzige Frau, die im klassischen Hollywoodkino als Regisseurin gearbeitet hat und das erste weibliche Mitglied der Directors Guild of America. Zwischen 1927 und 1943 hat sie 16 Spielfilme inszeniert, von denen einige als Meilensteine des feministischen Kinos gelten.
Zu dieser Zeit war sie auch die einzige lesbische Filmemacherin in Hollywood. Viele Jahre teilte Arzner Tisch und Bett mit der Choreografin und Tänzerin Marion Morgan, die auch an einigen ihrer Filme beteiligt war. Dorothy Arzner wurde 1897 in San Francisco geboren, beendete 1915 die High School, fuhr im Ersten Weltkrieg Krankenwagen und landete 1919 auf der Suche nach Arbeit eher zufällig beim Film. Zunächst arbeitete sie bei der Paramount-Tochter Realart Films als Schreibkraft und Cutterin. In dieser Funktion – sie war die erste professionell anerkannte Cutterin Hollywoods überhaupt – montierte sie über 50 Filme. Ab 1924 verfasste sie Drehbücher, 1927 konnte sie Ben Schulberg, den Produktionschef von Paramount überzeugen, selbst Regie zu führen. Bereits ihr erster (heute verschollener) Film brachte ihr die Anerkennung des Publikums und der Kritik ein. Obwohl sie sich als „solide Handwerkerin“ sah, war sie in ihrer Regiearbeit experimentierfreudig und schaffte als einzige Regisseurin in Hollywood den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm.
1930 wurde Arzner zur „Regisseurin des Jahres“ gewählt und konnte weitere Filme mit Starbesetzung inszenieren, die ihren Ruf festigten. Mit ihren ungewöhnlichen, erwachsenen, widersprüchlichen und nicht auf süß getrimmten Frauenfiguren hat Dorothy Arzner auch Traumrollen für einige Hollywood-Diven geschaffen – und zwar fast immer im Team mit Drehbuchautorinnen: Katharine Hepburn in CHRISTOPHER STRONG (1933), Rosalind Russell in CRAIG’S WIFE (1936), Joan Crawford in THE BRIDE WORE RED (1937) oder Maureen O’Hara und Lucille Ball in DANCE, GIRL, DANCE (1940). Während des Zweiten Weltkriegs realisierte Arzner Ausbildungsfilme für das Women's Army Corps. 1961 bis 1965 lehrte sie an der renommierten University of California (UCLA) und unterrichtete die erste „Film School Generation“, zu der auch Francis Ford Coppola gehörte. Bereits 1945 hatte Dorothy Arzner Hollywood verlassen und war mit Marion Morgan in ein Haus in La Quinta gezogen, wo sie 1979, acht Jahre nach dem Tod ihrer Lebensgefährtin, starb.
Dorothy Arzner war eine herausragende Erzählerin mit einem besonderen Gespür für die Perspektiven und Erfahrungen von Frauen. Als Pionierin des Feminismus, die dieses Etikett nie für sich in Anspruch nahm, schuf sie dennoch essenzielle weibliche Charaktere, atypische und moderne Heldinnen, die oftmals zu allem bereit waren, um sich ihrer Vorbestimmung zu entziehen. Ihre subversiven Filme sind nicht selten Manifeste gegen die Ehe, gegen die Heterosexualität, gegen die sexuelle Dominanz des Mannes über die Frau, gegen den „male gaze“, bevor es diesen Begriff überhaupt gab. Sie hinterfragten Geschlechtervorstellungen, stellten besonders häufig Frauenbeziehungen in den Mittelpunkt und verdrängten die heterosexuelle Romanze aus dem Zentrum des Geschehens – und das mitten in einer Ära, in der das Kino unerbittlich das heterosexuelle Paar propagierte.
In einer Zeit, in der die Marginalisierung von Regisseurinnen im Filmgeschäft immer noch diskutiert wird, setzt das Filmhaus ein deutliches Zeichen: Mit einer zehnteiligen Werkschau und einem Dokumentarfilm würdigen wir die lesbische Regisseurin, die sich mehr als alle anderen im patriarchalischen System der Hollywood-Mogule durchsetzen musste. Zum Auftakt der zeigen wir WORKING GIRLS (1931), Dorothy Arzners Lieblingsfilm über zwei Schwestern aus Indiana, die in New York Arbeit suchen. NIHRFF-Leiterin Andrea Kuhn führt in den Film und Dorothy Arzners Werk ein.