10.2. bis 30.3.2022

Anti-Diva, androgynes Role Model, cinephile Aktivistin: Seit über drei Jahrzehnten gehört die Schottin Tilda Swinton (*1960) zu den herausragenden Charakterdarstellerinnen der Kinowelt. Mit ihrer unverwechselbaren Erscheinung wurde sie zu einer Stilikone, deren Faszination sich nicht einmal David Bowie entziehen konnte, der sie für das Musikvideo „The Stars (Are Out Tonight)“ engagierte. Doch obwohl sie inzwischen fester Teil der Popkultur geworden ist, schlägt Tilda Swintons Herz leidenschaftlich für die Filmkunst und das unabhängige Kino. 

Swinton entstammt einer wohlhabenden schottischen Adelsfamilie und wollte zunächst Schriftstellerin werden, mit Anfang 20 entdeckte sie aber ihre Leidenschaft für das Theater. Ab 1984 war sie Mitglied der Royal Shakespeare Academy und tauchte in die Subkultur Londons ein. Bald gehörte sie zum Umfeld des queeren Malers und Filmregisseurs Derek Jarman, der ihr erste Filmrollen anbot. Ab CARAVAGGIO (1986) wurde sie zur Konstante in seinem Werk, sie spielte in der Folge in allen Filmen Jarmans bis zu dessen HIV-Tod im Jahr 1994. Swinton wurde durch die Zusammenarbeit mit Derek Jarman tief geprägt. „Er hat mich für immer verdorben“, sagte sie 2008 in einem Interview und meinte damit die Liebe für das Kino als Kunst, die Jarman in ihr weckte. Die beiden verband nicht nur eine enge Freundschaft, sondern auch das politische Engagement gegen den britischen Konservatismus der Thatcher-Ära und den bigotten gesellschaftlichen Umgang mit AIDS. 

Durch die Zusammenarbeit mit Jarman wurden zahlreiche andere Filmemacher:innen auf Tilda Swinton aufmerksam, bereits für ihre zweite Filmrolle arbeitete sie mit Christoph Schlingensief zusammen. 1992 drehte Swinton mit Sally Potter ORLANDO, einen Film, der ihr Image bis heute prägt: Die Darstellung des androgynen Edelmanns, der die Jahrhunderte durchwandert und die Geschlechteridentität wechselt, ist eine ihrer Paraderollen. Neben Sally Potter arbeitete Swinton immer wieder gezielt mit Regisseurinnen wie Lynne Ramsay, Cynthia Beatt oder Joanna Hogg zusammen, der Bedeutung von Frauen hinter der Kamera zollte sie auch durch ihre Mitwirkung an dem 14-stündigen Dokumentarfilmprojekt WOMEN MAKE FILM Tribut.

Ab der Jahrtausendwende bekam Tilda Swinton vermehrt Angebote aus Hollywood, für ihre Rolle in MICHAEL CLAYTON erhielt sie 2008 den Oscar für die beste Nebendarstellerin. Heute ist sie einem großen Publikum vor allem durch die Ensemblefilme von Wes Anderson und den Coen-Brüdern bekannt. Wirklich brillieren kann Swinton aber, wenn ihr genügend Raum gegeben wird, um ihre subtile, konzentrierte Schauspielkunst zu entfalten, wie in Luca Guadagninos I AM LOVE (2009) oder WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN (2011) unter der Regie von Lynne Ramsay. Entsprechend haben wir in unserer Filmreihe einen Fokus auf Filme mit ihr in der Hauptrolle gerichtet.

Doch Tilda Swinton ist nicht nur Schauspielerin, sie ist leidenschaftliche Kinogängerin und Filmenthusiastin. 2009 war sie Jurypräsidentin der Berlinale, in den Nachbardörfern ihres Wohnortes in Schottland veranstaltete sie für einige Jahre ein mobiles cinephiles Filmfestival. Immer wieder begleitet sie Filmprojekte bereits in der Produktionsphase, um durch ihre Prominenz die Finanzierung der Dreharbeiten sicherzustellen. Dass sie Anfang 2022 in einem Interview mit The Guardian über ihren Rückzug aus dem Filmgeschäft sprach und den Wunsch äußerte, als Sterbebegleiterin zu arbeiten, schickte eine kleine Schockwelle durch die Welt des Kinos. Doch neue Filmprojekte sind bereits angekündigt und mit der Hauptrolle in Apichatpong Weerasethakuls MEMORIA ist ein neuer künstlerischer Höhepunkt im Werk dieser vielseitigen singulären Schauspielerin zu bewundern.

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Am 31. Januar dieses Jahres wäre Derek Jarman 80 Jahre alt geworden. Wie kein anderer Regisseur hat er das britische Independent-Kino geprägt. Seine opulent inszenierten, provokativen Filme voller Anspielungen auf Kunstgeschichte, Religion, Folklore und Literatur sind bis heute wegweisend und wurden zu Meilensteinen einer queeren Filmkunst. Er arbeitete eng mit Tilda Swinton zusammen, daher nutzen wir unsere Hommage an die große Schauspielerin, um auch diesem viel zu früh verstorbenen Regisseur, Maler und Autor zum runden Geburtstag die Ehre zu erweisen. Am Wochenende 10.2. bis 13.2. können sie geballt vier der gemeinsam entstandenen Filme sehen.