16.2. bis 28.2. 2023

Fernando Ezequiel Solanas, am 16. Februar 1936 in Olivos vor den Toren von Buenos Aires geboren, nannten alle nur Pino. Er hatte Theater, Musik und Jurisprudenz studiert und in seinen Filmen entsprechend nicht nur Regie geführt, er komponierte auch Teile der Musik.

1962 hatte er mit Seguir Andando und Reflexión ciudadana zwei Kurzfilme gedreht, 1968 dann seinen ersten Langfilm, das Pamphlet La Hora de los Hornos – Die Stunde der HOCHÖFEN, einen Dokumentarfilm über den Neokolonialismus und die Formen der Gewalt in seinem geliebten lateinamerikanischen Kontinent. Der vierstündige Film konnte nur klandestin aufgeführt werden und gehört noch heute zu den Glanzstunden des engagierten, um nicht zu sagen enragierten Kinos. In dieser Zeit hatte Pino Solanas zusammen mit dem Spanier Octavio Getano unter dem Titel ‚Kino der Dekolonisation‘ eine Art Manifest zur Unabhängigkeit der verschiedenen Kinematographien verfasst. Darin heißt es unter anderem: „Eine Kinematographie wie eine Kultur wird nicht durch ihre Geographie national, sondern nur dadurch, dass sie den besonderen Notwendigkeiten der Befreiung und Entwicklung eines jeden Volkes entspricht. Das Kino, das heute in unseren Ländern dominiert und von Infrastrukturen und Superstrukturen bestimmt wird – den Ursachen jeder Unterentwicklung – kann nur ein abhängiges Kino und damit konsequenterweise ein unmündiges und unterentwickeltes Kino sein.“ Das legendäre Manifest hat im Zeitalter der globalen Vernetzung nichts an Aussagekraft eingebüßt.

Pino Solanas hatte sich im Grupo Cine Liberación engagiert, der das argentinische Kino prägte und in den frühen 1970er Jahren in Schwung bringen wollte. Er drehte seinen ersten Spielfilm Hijos de Fierro nach dem Gedicht ‚El Gaucho Martín Fierro‘ von José Hernández, der Militärputsch mit der Diktatur kam 1976 dazwischen, die Ermordung eines Schauspielers und Freundes und Morddrohungen an ihn. So ging er 1976 nach Frankreich ins Exil. Nach seiner Rückkehr in die Heimat drehte Fernando Solanas zwei Filme, die sich mit dem Exil und der langen Nacht der Diktatur auseinandersetzten: Tangos – el exilio de Gardel (1984), und Sur – Süden (1988). Epochal, neben DIE STUNDE DER HOCHÖFEN, wurde El viaje – Die Reise (1991), der die Suche eines Jungen aus Ushuaia, im tiefsten Süden des Kontinents, nach seinem Vater erzählt und dabei die Reise durch Lateinamerika unternimmt, bis hinauf in die Karibik. Der Film war, unter anderem, eine böse Kritik am neoliberalen Präsidenten Menem. Solanas zeigte Buenos Aires unter Wasser und Menem als Doktor Rana (Frosch) mit Flossen Durchhalteparolen quakend. Die Folge seiner Kritik: Am 21. Mai 1991 wurde Solanas beim Verlassen des Hauses, in dem er den Film montierte, von sechs Kugeln getroffen. Er hatte Glück, überlebte und engagierte sich fortan umso mehr. 1993 wurde er erstmals in ein politisches Amt gewählt. Ein ambitioniertes Spielfilmprojekt, die Verfilmung von Isabel Allendes Buch „Aphrodite. Eine Feier der Sinne“ scheiterte an der Finanzierung.

Die nächsten Filme sollten einerseits am Erstling anknüpfen und sich wieder explizit auf politische Themen konzentrieren. Die Digitalisierung kam Solanas entgegen: Er war von der ersten Stunde der handlichen digitalen Kameras dabei, ging selber auf die Straßen in Buenos Aires, als die Massen gegen den Ausverkauf und die Zerstörung des Landes durch den Neoliberalismus protestierten und filmte unermüdlich. War ursprünglich ein Film geplant, wurde daraus eine Trilogie mit MEMORIA DEL SAQUEO – CHRONIK EINER PLÜNDERUNG (2004), LA DIGNIDAD DE LOS NADIES – DIE WÜRDE DER ÄRMSTEN (2005) und ARGENTINIA LATENTE (2007). 2009 trat Solanas mit seinem eigenen Mitte-Linksbündnis Proyecto Sur (Projekt Süden) in Buenos Aires als Kandidat an und erzielte das zweitbeste Wahlergebnis. Im Wahlkampf hatte Pino Piniensamen verteilt unter dem Motto ‚Pino se planta – Pinie lässt sich pflanzen‘. Filmend zu Themen wie der Zerstörung des einst vorbildlichen Eisenbahnnetzes in Argentinien (Próxima estación, 2008), das Fracking oder die Vergiftung der Böden dokumentierte der Filmemacher zentrale Themen in Umwelt und Gesellschaft mit eigener Kamera und sehr persönlich. Gleichzeitig engagierte er sich im Parlament unermüdlich für diese Fragen oder Rechte der Frauen in einem Land, in dem der Männlichkeitswahn groß geschrieben ist. Den letzten von ihm produzierten Film drehte sein Sohn Juan Solanas: Que sea ley, ein Dokumentarfilm, der den Kampf der argentinischen Frauen fürs Recht auf Abtreibung dokumentierte.

Am Abend des 6. November 2020 ist Fernando Solanas an COVID 19 gestorben. Die argentinische Botschaft in Paris, vor der er in den 1970er Jahren gegen die Militärdiktatur demonstriert hatte, hängte nach seinem Tod in Hommage an den großen Künstler und engagierten Politiker ein Banner an die Fassade mit Bildern seiner Filme. Wer das Glück hatte, Fernando Solanas persönlich zu kennen und über viele Jahre immer wieder zu erleben, staunte nicht zuletzt über die ungemein große Lebensenergie.

Walter Ruggle

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