Ausstellung zum Thema Migration im GNM

Ganz neue Horizonte

von Verena Krippner - 27.2.2023

Nürnberg - Horizonte. Geschichten und Zukunft der Migration heißt die große Sonderausstellung, die am 30. März 2023 im Germanischen Nationalmuseum (GNM) beginnt. Ein Junger Beirat hat begleitend Texte zu zwölf Exponaten in der Dauerausstellung verfasst. Sie alle befassen sich mit dem hochaktuellen Thema der Migration.

A generic square placeholder image with rounded corners in a figure.
Mitglieder des Jungen Beirats mit Lena Hofer (rechts), unterstützt von Akim Gubara (links), in der Dauerausstellung des 20. Jahrhunderts Mitte: Adlerfibel, um 500 n. Chr.

Ernst Ludwig Kirchners Gemälde Der Trinker (Selbstbildnis), das in der GNM-Dauerausstellung zur Kunst des 20. Jahrhunderts hängt, ist eines der bedeutendsten Werke des Expressionisten: Der Künstler zeigt sich in seinem mit Teppichen reich geschmückten Atelier, auf dem Tisch vor ihm ein giftgrüner Kelch. Kirchner selbst bezeichnete das Gemälde als Selbstbildnis, verlieh sich jedoch nicht seine eigenen Gesichtszüge, sondern die des Schwarzen Modells Sam. Weshalb stilisierte er sich im Jahr 1914 auf diese Weise? Und warum wurde das Gemälde in einen Rundgang durch das GNM zu Motiven des Aufbruchs, der Flucht oder Ankunft integriert?

Antworten auf diese Fragen und eigene Impulse zu dem Werk gibt der Junge Beirat, der sich im Rahmen der Ausstellung Horizonte. Geschichten und Zukunft der Migration gegründet hat. Der Trinker bildet eine der sogenannten Satelliten-Stationen, mit der die Sonderschau während ihrer sechsmonatigen Laufzeit auf das gesamte Museum ausgeweitet wird. Die acht Mitglieder des Jungen Beirats, im Alter zwischen 16 und 25 Jahren, haben Arbeiten aus unterschiedlichen Epochen ausgewählt, neben denen sie mit Texttafeln auf Aspekte der Migration aufmerksam machen. Nicht zuletzt teilen sie darauf ihre ganz persönlichen Perspektiven auf die Kunstwerke sowie deren Kontext: das Erfahren von Rassismus, dem Gefühl von Zugehörigkeit oder Isoliert-Sein bis hin zu Beobachtungen kleinster Details – die verschiedenen Eindrücke und Assoziationen zu den Exponaten sind so spannend wie vielfältig. „Diese jungen Perspektiven sind wichtig und inspirierend. Ihnen Raum zu bieten bedeutet, Horizonte zu erweitern“, sagt die Projektverantwortliche Lena Hofer, die den Jungen Beirat bei seiner Arbeit unterstützt. Besucherinnen und Besucher können die neu beschrifteten Exponate mit einem Flyer gezielt ansteuern oder auf eigene Faust eine überraschende Entdeckungstour durch die Sammlungen starten.

Der Rundgang führt zu Objekten der Ur- und Frühgeschichte, vorbei an Werken der Renaissance bis hin zu Denkmalen unserer Gegenwart. „Wir wollen zeigen, dass
Migrationsbewegung der Normalfall und fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte ist“, erklärt Lena Hofer das Ziel des Projekts.

Die Werke erfassen
Mi­gration – das Jahres­thema des Museums – in all ihren Facetten. Neben Einzelbiografien von Künstlerinnen und Künstlern wird der Thematik auch im Hinblick auf Handelswege, Herstellungsprozesse oder den historischen Kontext nachgegangen. Ältestes Exponat ist die Adlerfibel, ein Schmuckstück aus der Völkerwanderungszeit um 500 n. Chr. Sie wurde aus Gold, Silber, Bronze, Almandin, Lapislazuli, Elfenbein und Kitt gefertigt. Die aus unterschiedlichen Gegenden stammenden Materialien und formgebenden gotischen, römischen und byzantinischen Einflüsse machen die Fibel zum Sinnbild des materiellen und kulturellen Austauschs jener Zeit.

Vermeintliche Machtansprüche, die Hoffnung auf bessere ökonomische Umstände, Flucht vor Lebensbedrohungen oder Neugier auf das Entfernte – die Gründe für einen Aufbruch haben sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum verändert. Albrecht Dürers Vater machte sich 1455 aus Ungarn auf den Weg nach Nürnberg, um sich in der Reichsstadt, die ein attraktives Arbeitsumfeld bot, als Goldschmied zu etablieren. Rund 35 Jahre später porträtierte der junge Albrecht dort seine Mutter. Das Bildnis hängt in der Dauerausstellung, es entstand wohl kurz vor der Gesellenreise des Malers gen Oberrhein, wohin er aufbrach, um neue künstlerische Eindrücke zu gewinnen.

Migrationserfahrungen prägen die Kulturgeschichte, aber ebenso unsere Gegenwart und Zukunft. Neben den Stationen im GNM entschied der Junge Beirat, auch das NSU-Mahnmal unweit des Haupteingangs beim Kartäusertor und die Straße der Menschenrechte in die Auswahl aufzunehmen. Mit ihren einprägsamen Rundpfeilern steht das Werk nicht nur für den Appell zur Einhaltung der Menschenrechte, sondern erinnert auch an deren Verletzung. Unter dem Schlaglicht der Sonderausstellung soll an die vielfältigen Gründe für Migration erinnert werden, die Menschen weltweit zum Verlassen ihrer Heimat bewegen.

Auf den Aspekt der Flucht verweist auch ein ausgestellter Hebammenkoffer. Elisabeth Dudek nahm ihre gepackten Arbeits-utensilien, darunter zahlreiche Arzneimittel und Werkzeuge, 1945 mit auf den Weg aus Oberschlesien in den Westen. Der Koffer gibt heute Anstoß, über die Frage nach unserem wertvollsten Besitz nachzudenken: Welche Dinge sollen uns weiter begleiten?

Germanisches Nationalmuseum
Kartäusergasse 1
90402 Nürnberg
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Mi 10 – 20.30 Uhr
Telefon: 0911 13 31-0
www.gnm.de

Teilen mit
Zurück zur Übersicht