Einführung
Die internationale Gruppenausstellung Delikatessen. Zwischen Kunst und Küche wirft einen Blick in die Küchen der Kunstwelt. Die Parallelen zwischen Kunst und Kochen sind ebenso offensichtlich wie vielfältig: Beides hat mit Sinnlichkeit, Kreativität und bewusster Komposition zu tun. Die Ausstellung präsentiert 23 künstlerische Positionen, die sich mit erlesenen Zutaten, ausgefeilten Rezepten und genussvollen Erlebnissen befassen und dabei die Grenze zwischen Kunst und Küche verschwimmen lassen.
Ursprünglich diente Essen ...
In unserer Gesellschaft gewinnt das Thema Essen zusehends an Bedeutung. Allgemein wächst das Bewusstsein für die Bedeutung einer gesunden Ernährung, das Interesse an der Herkunft der Lebensmittel steigt und die Anzahl der Personen, die sich regional, biologisch, vegetarisch oder vegan ernähren, wird immer größer. Tagtäglich werden in den sozialen Medien unzählige Bilder von kreativ, teilweise kunstvoll hergerichteten Speisen gepostet, und kaum ein Lifestyle-Magazin kommt ohne eine Koch- bzw. Rezeptrubrik aus.
Vor dem Hintergrund ...
Raum 1
Sonja Alhäuser
Eine barock anmutende männliche Figur, umgeben von kleinen Putti und eingezwängt in einen transparenten Behälter, stößt an die Glasscheiben ihrer engen Behausung und scheint aus ihr ausbrechen zu wollen. Die Kühlvitrine hält die aus Margarine hergestellte Figur gefangen, bietet ihr zugleich aber auch lebenserhaltenden Schutz, da sie in ungekühltem Zustand zerfließen würde. So stehen sich Sinnlichkeit und Lebenslust einerseits und das Wissen um die eigene Vergänglichkeit andererseits gegenüber.
Sonja Alhäuser
Bekannt wurde Sonja Alhäuser mit ihren Zeichnungen, die wie Rezepte wirken, aber eigentlich Versuchsanordnungen abbilden. Ihre Zeichnungen sind weniger erzählerisch als vielmehr ablauforientiert, was sie häufig mit Pfeilen markiert. Meist sind parallele Handlungen miteinander verwoben, sodass die Zeichnungen in verschiedene Richtungen lesbar sind. Oftmals belässt sie es nicht bei der Darstellung des Herstellungsprozesses, sondern beschreibt den Weg der Substanzen in den Menschen hinein und wieder hinaus.
Mit ...
Raum 2
Martin Parr
Als Chronist des modernen Lebens in der englischen Provinz ist Martin Parr bekannt. Seine unkonventionellen und oft humorvollen Beobachtungen halten der Gesellschaft einen Spiegel vor und zeichnen sich durch einen hohen Wiedererkennungswert aus. Anthropologisch und gleichzeitig realistisch erforscht Parr Sujets wie verschiedene Gesellschaftsklassen, die Globalisierung und unser Konsumverhalten.
„Solange es nicht wehtut, solange keine Verletzlichkeit spürbar ist, entstehen keine guten Fotografien“, äußerte Parr ...
Contrastissimo
Ohne die Direktion der Thalys Zuggesellschaft zu involvieren, inszenierte Contrastissmo zwischen dem 27. Januar und dem 1. Februar 2019 dank der großzügigen Unterstützung der Mitarbeiter*innen im Bordrestaurant eine kulinarische Intervention auf der Zugstrecke von Brüssel nach Paris. Unerwartete Speisen – teilweise humorvoll arrangiert wie beispielsweise ein Zitronen-Martini nebst ganzem Brokkoli – wurden vom Thalys-Personal serviert und sorgten im stilvollen Ambiente des Hochgeschwindigkeitszugs für einen Hauch ...
Jorgen Leth
Eine so einfache wie strenge Bildkomposition empfängt die Betrachtenden: Graue Wand und braune Tischplatte, zentral im Bild der schmächtige Andy Warhol (1928 – 1987), seines Zeichens einer der einflussreichsten amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts. Vor ihm steht eine Papiertüte mit Burger-King-Logo sowie eine Flasche Ketchup. Niemand hat sich so nuanciert und gleichzeitig ambivalent mit der US-amerikanischen Konsumkultur befasst wie der New Yorker Pop-Art-Künstler, und die gezeigte Szene aus dem Film 66 Scenes from America ...
Candida Höfer
Wie ein Fenster, das auf einen fremden Planeten blickt, mutet die großformatige Fotografie von Candida Höfer an: Die in Köln als Tochter der Solotänzerin Elfriede Scheurer und des Journalisten Werner Höfer aufgewachsene Fotografin studiert ab 1976 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Bernd Becher.
In ihrer Fotoserie zur legendären Kantine des inzwischen historischen SPIEGEL-Verlagsgebäudes an der Hamburger Brandstwiete löst sie sich nur teilweise von den Prinzipien ihres stilprägenden Lehrers: Die Räume bleiben wie bei ...
Raum 3
Piero Manzoni
Die erlesene hölzerne Schatulle ist mit Baumwolle ausgelegt, in ihrer Mitte liegt, wie ein Schmuckstück, ein Hühnerei, vorne mit einem schwarzen Daumenabdruck versehen. Die Markierung gehört zu einem der radikalsten und skandalträchtigsten Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts, dem italienischen Performance- und Konzeptkünstler Piero Manzoni.
Graf Manzoni von Chiosca und Poggiolo, wie er mit vollem Namen heißt, feiert am 21. Juli 1960 in Mailand sein ganz eigenes, säkulares Abendmahl: In der exakt 70 Minuten – ...
Susan Pietzsch
Veganismus, Food-Porn, Öko-Boom – in unserer Gesellschaft ist das Essen mehr denn je in das Zentrum des allgemeinen Interesses gerückt. Der Ernährungsstil ist zu einem Mittel der Selbstdarstellung geworden, wie es bislang eher die Mode oder bestimmte Musikvorlieben waren. In den sozialen Medien wird täglich eine Flut von Essensfotos gepostet. Die fotografierten Speisen lassen sich jeweils mit einem Lebensstil oder einer Lebensphilosophie verbinden und dienen damit der (digitalen) Selbstinszenierung.
Seit den 1990er-Jahren ...
Maik und Dirk Löbbert
Für das Münchener Literaturhaus eine Bank mit einer Laterne, für den Bonner Kunstverein einen rechteckigen Durchbruch in einer Wand, für eine Halde im Ruhrgebiet eine 30 m hohe Lichtsäule, die im Rhythmus der menschlichen Atmung pulsiert – obwohl sich diese Arbeiten von Maik und Dirk Löbbert stark voneinander unterscheiden, gibt es dennoch eine Gemeinsamkeit, die sie miteinander verbindet: ihr Ortsbezug. Ausgangspunkt für die beiden Künstler ist immer die intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ausstellungsort und ...
Sam Taylor-Johnson
Das 1-Kanal-Zeitraffervideo mit einer Länge von 3 Minuten und 44 Sekunden ist mindestens irritierend: Man sieht das Standbild eines prallen Stilllebens aus Obst, das klassisch auf einer geflochtenen Platte arrangiert ist. Einzig ein in der unteren rechten Ecke liegender Kugelschreiber verrät, dass es sich bei dem Film um eine zeitgenössische Arbeit handelt. Anfangs ist die Veränderung im Bild trotz des Zeitraffers kaum sichtbar, nur das Licht und die Farben ändern sich subtil. Bis irgendwann ein sanfter blauer Flaum auf den Früchten ...
Tobias Hantmann
Der Prozess der Bildfindung, das Verhältnis von Motiv und Motivträger, die Beziehung zwischen dem Bild und der Wirklichkeit außerhalb des Bildes – das sind zentrale Themen, mit denen sich Tobias Hantmann in seiner Arbeit auseinandersetzt. Alle Selbstverständlichkeiten
und Konventionen in Bezug auf Kunst infrage stellend, findet er meist beim Betrachten seiner alltäglichen Umgebung zu Bildern und Ideen. In vielen seiner Werke lässt sich eine Faszination für Oberflächen und deren materielle Beschaffenheit ...
Raum 4
Isabelle Enders
Die Werke von Isabelle Enders hinterfragen vertraute Seh- und Nutzungsgewohnheiten. Ihre Pfeffermühlen befreien sich von ihrer funktionsgebundenen Logik und werden zu hybriden Objekten, die die Grenzverläufe zwischen Gebrauchsgegenstand und autonomem Kunstwerk thematisieren. Für die Ausstellung hat die Künstlerin eine ortsspezifische Installation konzipiert, die atmosphärisch zwischen Gewächshaus, Kathedrale und Jahrmarkt mäandert. In eine metallene Rahmenkonstruktion wurden gegossene und mit Farbpigmenten ...
Raum 5
Dieter Froelich
Hört auf zu kochen – welch ein Diktum! Im roten Stempeldruck auf ein Küchenhandtuch gedruckt und wie ein traditionelles Tafelbild auf Keilrahmen gespannt, erinnert es wohl gerade ältere Betrachter*innen an Jörg Immendorfs Bild Hört auf zu malen von 1966. Beide Forderungen sind ähnlich in ihrer Absurdität, denn bekanntlich endete damals weder die Geschichte der Malerei, noch war 2017 ein Ende der Zubereitung von Speisen in Sicht.
Dieter Froelich, der als Student an der Frankfurter Städelschule in ...
Ben Heinrich & Lukas Pürmayr
In einer hochtechnologisierten Welt, die zunehmend von schädlichen Einflüssen durchdrungen ist, haben wir gelernt, mit diesen Bedrohungen umzugehen. Doch trotz unserer Anpassungsfähigkeit bleibt die Vorsicht vor dem Unbekannten bestehen. Ausgehend von der Untersuchung, dass wir alle von tödlichen Stoffen umgeben sind, die wir aber im Alltag oft ausblenden, ist es erstaunlich, dass einige
der gefährlichsten Gifte natürlichen Ursprungs sind.
Die Performance Giftessen beleuchtet die paradoxe Beziehung zwischen der Natur ...
Claus Richter
Um Delikatessen dreht sich die gesamte Ausstellung der Kunsthalle Nürnberg, und wenn man hier auf das Werk des Bildhauers, Konzeptkünstlers und Dandyforschers Claus Richter blickt, könnte man meinen, es ginge dabei vorrangig um Lebkuchen. Die zwei stylishen, überdimensionierten Pfefferkuchenreliefs aber nur als das zu lesen, was sie darstellen, wäre eine fahrlässige Verkürzung der hochkomplexen Erzählungen, die den Arbeiten des Künstlers innewohnen. Hier geht es wohl um nichts weniger als eine Neubewertung der Grimm’schen ...
Dieter Roth
Der in Hannover geborene und in Basel gestorbene Kulturschaffende Dieter Roth hat in seinem aufregenden Leben wenige Genres der Kunst und Kultur nicht bedient. Nach seiner Ausreise aus dem nationalsozialistischen Deutschland siedelt der vielfach interessierte Künstler erst in die Schweiz um, später in die USA. Er entwirft Stoff-Designs, schreibt Konkrete Poesie, malt, bildhauert, gründet einen Buchverlag und gibt ausufernde Interviews, die er später veröffentlichen lässt. Ein Projekt, das über seinen Tod hinausreicht, ist ...
Walid Raad
Als im Frühjahr 1975 offene Gefechte im Libanon ausbrechen, ist das der Beginn eines blutigen Bürgerkrieges, der das Land 15 Jahre lang verwüsten wird. Die Parteien sind mannigfaltig. Tiefe Konflikte durchziehen die teils christliche, teils muslimische Gesellschaft; Gruppierungen, etwa die radikal-islamistische Hisbolla, die palästinensische PLO, aber auch die Staaten Syrien und Israel, mischen im hitzigen Topf der kochenden Konflikte mit. Um die brodelnden Gemüter zu besänftigen, so das Gerücht, reist eine Frau als Chef Ramza – nicht zu ...
Boris Becker
Um das Thema der scheinbar absoluten Unordnung in privaten, gewerblichen und öffentlichen Räumen geht es Boris Becker in seiner Serie Total Desaster. In Wohnungen, Werkstätten und Hinterhöfen hat er Lebens- und Arbeitsbereiche fotografiert, die nicht unbedingt den herkömmlichen Vorstellungen von Ordnung entsprechen. Seine Fotografien zeigen die Schönheit dieses vermeintlichen Durcheinanders, während sie zugleich Fragen über gesellschaftliche Ordnungsprinzipien aufwerfen.
Die Küchen der beiden Arbeiten ...
Winfried Baumann
Die Vorstellung, der Mobilität unserer Welt mit einer kompakten Wohneinheit zu begegnen, die alle fundamentalen Bedürfnisse auf minimalem Raum erfüllt, gehört zu den grundlegenden Ideen der Moderne. So war es für das Denken der Bauhaus-Bewegung zentral, sich die Welt von ihren funktionalen Strukturen ausgehend zu erschließen. Welche Dinge braucht der Mensch wirklich, und wie müssen diese Objekte gestaltet sein, damit sie sich ganz in den Dienst des Menschen stellen?
Seit 2001 entwickelt Winfried Baumann ...
Wolfgang Stehle
Ein Bierbauch zum Umschnallen, inklusive Einfülltrichter oben und Auslassventil unten: So einfach lässt sich Wolfgang Stehles Sozialprothese von 2002 vollumfänglich beschreiben. Das Werk, das auf den ersten Blick vielleicht banal und auch etwas albern anmuten mag, ist in Wirklichkeit eine Kritik an einem realen Grundproblem unserer Gesellschaft. Denn wer keinen Alkohol trinkt, ist auf gesellschaftlichen Veranstaltungen hierzulande eine echte Kuriosität und folglich regelmäßig mit allerhand ungläubigen Fragen ...
Raum 6
Heike Kati Barath
Die Deutschen lieben Nudeln: rund 10 Kilo Nudeln pro Kopf wurden im letzten Jahr verzehrt. Heike Kati Baraths Spaghettiesser und Spaghettiesserin gehören offensichtlich dazu. Mit aufgerissenen Augen und stumpfem Blick starren sie aus den großformatigen Malereien heraus. Die simplen Erscheinungen wirken zunächst hölzern, doch ihre Gestik und Mimik entfalten eine subtile Dynamik. Als würden sie die 3 × 2 Meter großen Leinwände sprengen, dehnt sich die Konfrontation der Szene am Esstisch auf die Betrachtenden aus, die sich auf ...
Carsten Höller
Viel wurde geschrieben über die fortgesetzten Grenzverschiebungen der zeitgenössischen Kunst. Doch sollte man sich vor dem ausgestellten Werk des Konzeptkünstlers Carsten Höller die Frage stellen: „Sind wir womöglich zu weit gegangen?“ Die Wandarbeit Kinderkotze von 1992 simuliert nämlich exakt das, was ihr Titel verspricht: Eine unheilige Tinktur wurde mit einiger Ambition an die Museumswand geschleudert, ganz wie man es von jenen jungen Restaurantkritiker*innen erwarten würde, die in den Lokalen der Welt ebenso wie ...
Raum 7
Gordon Matta-Clark
Der 1972 gedrehte Dokumentarfilm FOOD zeigt das tägliche Treiben im gleichnamigen Restaurant, das Gordon Matta-Clark 1971 zusammen mit seiner Freundin, der Tänzerin und Fotografin Carol Goodden und den Künstlerinnen Suzanne Harris, Tina Girouard und Rachel Lew in dem New Yorker Stadtteil Soho gegründet hatte. In den Räumlichkeiten des Restaurants, die Gordon Matta-Clark gestaltet hatte, gab es eine offene Küche – zu jener Zeit eine Besonderheit. Die Intention war, den Vorgang des Kochens sowie die jeweiligen ...
Raum 8
Thomas Feuerstein
Das Wort „Manna“ stammt aus dem Hebräischen und bedeutet so viel wie: „Was ist das?“ Die Frage liegt nahe in Anbetracht des grün leuchtenden Konglomerats blubbernder Röhren, umschlängelt von allerhand ominösen Schläuchen. Wie ein fremdartiger Alien-Apparat kommt die Manna Maschine III des österreichischen Konzeptkünstlers Thomas Feuerstein daher.
In der Tat veröffentlichten 1976 zwei Briten einen Essay, in dem sie behaupteten, das biblische Manna, die göttliche Nahrungsquelle der Israelit*innen auf ihrer ...