Katharina Simons
Katharina Simons ist freischaffende Regisseurin für multimediale Performancekunst und lebt zurzeit in Nürnberg. Ihre Arbeiten veröffentlicht sie unter dem Kunstlabel CUTTY SHELLS und bewegt sich damit an der Nahtstelle von Film, Performance und Virtual Reality.
Im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Arbeit steht die Auseinandersetzung mit Realitätsentwürfen, ihren Wahrnehmungsaspekten und Entfremdungsformen. Dafür konzentriert sich Katharina Simons vor allem auf visuelle Aspekte einer Ästhetik, die sich stets an Phänomenen der Popkultur orientiert und durch hyperbolische Verkörperungen und skulpturale Darstellungen auszeichnet. Intime Atmosphären in fremden Welten bringen neue Sehnsüchte und Wahrheiten an die Oberfläche. Im Spannungsfeld zwischen Fiktion und Realität entstehen surreale und knallige Inszenierungen, die sich wie ein Leuchtfeuer in die Netzhaut brennen.
Aktuell erarbeitet sie ein transmediales Performanceprojekt, das sich interdisziplinär mit dem neuaufkommenden Phänomen des Technoschamanismus auseinandersetzt und die Digitalität in Relation zur Spiritualität untersucht.
Simons studierte an der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen-Nürnberg Theater- und Medienwissenschaften mit Nebenfach Philosophie. Für den Masterstudiengang „Inszenierung der Künste und der Medien“ wechselte sie an die Stiftung Universität Hildesheim. Weiter begleitet sie in Kollaborationen und als Dramaturgin innovative Tanz- und Performanceprojekte in der Freien Szene der Darstellenden Künste.
Im Gespräch mit Katharina Simons
Ganz Corona-konform versendete ich den Zoom-Einladungslink per E-Mail und wartete darauf, zu erfahren, wer wohl den virtuellen Raum für die nächste dreiviertel Stunde mit mir teilen würde. Mit keiner Minute Verspätung betrat Kati Simons die Bühne, Pardon, den Raum.
Corona – der Virus veränderte unser aller Leben, unser Alltag und unser soziales Miteinander fanden auf Grund von Kontaktbeschränkungen zeitweise nur noch im Digitalen statt. Auch viele Theaterschaffende wichen mit ihren Stücken auf virtuelle Bühnen aus und erschlossen den digitalen Raum mit seinen vielzähligen Möglichkeiten für sich. Kati Simons allerdings, die als Regisseurin unter dem Künstler:innenlabel „CUTTY SHELLS“ Stücke zum Nachdenken und einen interdisziplinären Austausch konzipiert, konnte sich schon vor Corona für digitale Formate begeistern. Wie sie von ihrem Studium in Erlangen, über Hildesheim zurück zur freien Szene Nürnberg fand, welche Bedeutung ihr neuestes Werk „CALL OF MORAL DUTY“ für sie hat und welche Vorteile digitale Umsetzungen im Allgemeinen haben können, darüber haben wir in besagter dreiviertel Stunde gesprochen.
Nürnbergs freie Szene – Schutzraum für junge Künstler*innen
Kati Simons kommt ursprünglich aus einer Stadt, die eine sehr bekannte Puppenkiste hervorgebracht hat, für ihr Bachelor-Studium zog es sie dann ins Frankenland. In Erlangen studierte auch sie Theater- und Medienwissenschaften im Bachelor und spezialisierte sich hier vor allem auf die Medienwissenschaft – hätten Sie es gedacht? Nebenher assistierte sie aber bereits in der freien Szene Nürnbergs und arbeitete als Dramaturgin. Nach zwei Jahren in Hildesheim, in denen sie innerhalb ihres Masterstudiengangs ihre Faszination für Performancekunst entdeckte und im virtuellen Raum ausbauen konnte, kehrte sie als Newcomerin mit zahlreichen Ideen nach Nürnberg zurück. Besonders für junge Künstler*innen bietet Nürnberg wohl „ein gesundes Mischverhältnis von sich-ausprobieren-dürfen und erwarteter Qualität“. Das und die Strukturen der freien Szene vor Ort, in der man seine Vorstellungen einbringen kann sowie die Leiterin der Tafelhalle, Frederike Engel, die eine große Offenheit gegenüber Newcomer*innen an den Tag legt und die ihr eine Kooperation angeboten hat / die mit ihr in einer Koproduktion zusammenarbeiten wollte, stellten für die Künstlerin Gründe dar, nach Nürnberg zurückzukehren.
Form follows function – Irgendwoher kennen wir das doch?
„CALL OF MORAL DUTY”- eine interaktive Livestream-Performance, die am 14.10.21 Premiere feiert, ist für Kati Simons das „erste richtig, richtig große Stück“. Sie verarbeitet darin zwei Aspekte, die ihr selbst sehr am Herzen liegen. Zum einen thematisiert sie als Newcomerin die Frage, wie moralisch sollte bzw. muss man sein und welchen Fragen sollte man sich beim Produzieren von Kunst stellen? Aus diesen Fragen heraus entstand auch das Thema des Stücks: Cancel Culture und Kunstverbot. Zum anderen widmet sie sich einer der zentralen Aufgabe des Theaters: gesellschaftliche Realität widerzuspiegeln. Dabei orientiert sie sich an der Darstellung zweier extremer Meinungsbilder, die auf Grund der Corona-Pandemie entstanden und die sowohl in Politik als auch im alltäglichen Leben jeder Büger:innen wiederzufinden sind. Ziel des Stückes soll es sein, eine symbolische Annäherung der beiden Extreme zu erreichen. Ihre Wahl des Formats – eine interaktive Livestream-Performance - greift den gesellschaftlichen Dualismus auf. Der Livestream ist ein Wechselspiel zwischen Frage und Antwort, es werden stets zwei Antwortmöglichkeiten eingeblendet. Anonym kann jede:r Zuschauer:in eine Antwort wählen. Am Ende wird die Antwort ausgeführt, die am meisten Stimmen erhält und so trifft die Entscheidung das Publikum und bestimmt damit den (moralischen) Verlauf der Performance. „Ein bisschen wie bei ´Bandersnatch´ von Black Mirror, deine Entscheidung bestimmt den Handlungsverlauf.“, grinst Kati Simons. Das ist ein wichtiger Punkt für sie: Das Format sollte ebenso einen Zweck erfüllen, wie der Inhalt selbst, diesen widerspiegeln oder unterstützen.
Die Mischung macht’s!
Grundsätzlich sieht sie eine Chance in der voranschreitenden Digitalisierung im Theater- und Performancebetrieb. An dieser Stelle beweist sie ihren medientheoretischen Ursprung und bezieht sich direkt auf den Medientheoretiker Christopher Balme, essenziell ist für sie dabei vor allem eines: Sieht man Theater als ein Medium und kombiniert es mit einem weiteren Medium, so muss darauf geachtet werden, welche Konventionen die einzelnen Medien mitbringen und welches das dominierende Medium innerhalb dieses Systems ist. „Wenn wir die ganze Zeit nur die üblichen Theaterkonventionen ins Digitale übersetzen, dann merken wir, dass wir unzufrieden werden und ich glaube, wir können zufriedengestellt werden, wenn wir nicht mit banaler Medienübersetzung, sondern eher mit Verflechtungen und unterschiedlichen Medienhierarchien arbeiten und dadurch auch die Konventionen des Theaters durch die Möglichkeiten der Digitalität erweitern und neu interpretieren, durch z.B. filmischen Mitteln.“ Nicht nur die Theatermacher:innen können von dieser Entwicklung profitieren, auch seitens des Publikums sieht sie enorme Vorteile durch die Digitalisierung des Programms.
„Ich würde niemals sagen, die Digitalität schafft das Theater ab. Meine Vision ist eher, dass sich das Theater jetzt splittet. Dass es eben auch digitale Formate gibt und sie ihren Anteil im Theater haben.“ Auch hier spielt für Kati Simons eine bewusste Entscheidung eine zentrale Rolle: Es gäbe Momente, da möchte man sich etwas Schönes anziehen, einen Sekt trinken und sich im Theater mit anderen Menschen austauschen. Und dann gäbe es solche, in denen man es sich lieber auf seinem Sofa bequem machen möchte.
„Ich finde es eine sehr schöne Haltung, dass ich mir mit Jogginghose im ganz intimen privaten Modus qualitativ hochwertige Kunst per Stream ansehen kann. So kann ich Kunst nochmal ganz anders für mich erfahren.“, wirft sie ein. Die Künstlerin ist der Überzeugung, dass diese neue Möglichkeit den Zuschauer:innen ein wenig mehr Gelassenheit vermittelt, sie sich intensiver auf ein Stück einlassen können und die Erfahrung eine andere ist als in Präsenz.
Zum Abschluss: Nur Mut!
Das Allerwichtigste an den digitalen Formaten für Kati Simons aber sei der Mut. Mut, etwas Neues auszuprobieren auf Seiten der Theatermacher*innen, Mut auf Seiten der Rezipient*innen, sich darauf einzulassen. „Viele denken vielleicht, sie sind mit den digitalen Formaten überfordert und können das nicht, aber da wünsche ich mir, dass das Publikum mehr Vertrauen in uns Künstler*innen hat. Wir denken alle mit und gestalten das Stück zugänglich, damit sich niemand außenvorgelassen fühlen muss.“ Die Corona-bedingten Schließungen der Theaterhäuser waren Zeiten des Experimentierens, die faszinierende neue Formate entstehen haben lassen und neue Denkmuster etablieren konnten. Kati Simons ist überzeugt, wenn der schale Beigeschmack der Pandemie erst einmal nachlässt, entdecken die Künstler*innen aufs Neue, wie viel Spaß das Digitale mit sich bringen kann. Nur Mut!
Franka Potzler ist Studentin der Theater- und Medienwissenschaft an der FAU in Erlangen. Für ihre Bachelorarbeit untersucht sie die Veränderungen allgemeingültiger Theaterlogiken durch die Corona-Pandemie. Der Virus und seine Folgen haben die Veranstaltungsbranche gehörig auf den Kopf gestellt. Auch die Künstler*innen der Tafelhalle blieben davon nicht verschont. Ihre Erfahrungen haben sie in spannenden Gesprächen mit ihr geteilt.
(Interview und Text von Franka Potzler, Studentin der Theater- und Medienwissenschaft, FAU Erlangen; 2021)