Werkschau Kelly Reichardt
Bei allem Charme kann man bei vielen der aktuellen US-Independent-Filme einen Hang zur Geschwätzigkeit nicht leugnen. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht vollziehen die Arbeiten von Kelly Reichardt eine Gegenbewegung. Ihre bislang fünf Langfilme sind von einer zunächst irritierenden Reduziertheit an Figuren, Dialogen, Orten und überhaupt dem, was man eine konventionelle Handlung nennen würde. Speziell OLD JOY und Wendy and Lucy, beide nach Kurzgeschichten des Autors Jon Raymond, haben keine „Geschichte“, aber ein Thema: In seiner Wort- und Ereignislosigkeit erzählt Old Joy vom Ende einer Freundschaft und von der Befindlichkeit einer politischen und gesellschaftlichen Klasse im Post-9/11-Amerika; Wendy and Lucy, inspiriert vom italienischen Neorealismus, geht an den Rand des sozialen Gefüges und beobachtet eine junge, mittellose Frau, die zusehends ihr Erspartes, ihre Perspektive und jede Hoffnung zu verlieren droht. „Die Idee dazu kam kurz nach Hurricane Katrina“, sagt Reichardt, „Jon und ich dachten darüber nach, wie es ist, kein Netz zu haben und ohne jede Hilfe einen Weg aus der Not zu finden.“ Eine Frage, der sie – wenn auch im völlig anderen Setting des Westerns – auch in MEEK’S CUTOFF nachgeht: Von ihrem Scout in die Irre geführt, muss der kleine Siedlertreck auf sich gestellt einen Weg aus der Wildnis finden.
Kelly Reichardt hat in Massachusetts Kunst studiert und anschließend an Filmen von Hal Hartley und Todd Haynes mitgearbeitet. Für ihr Debüt River of Grass kehrte sie 1994 in ihren Heimatstaat Florida zurück. Wie auch Reichardts spätere Langfilme erzählt das schwarzhumorige Low-Budget-Drama River of Grass von einer räumlichen Bewegung bei einem gleichzeitigen persönlichen Stillstand. Ihre Filme sind nicht ohne Poesie und Schönheit, aber der Freiheitsmythos des amerikanischen Kinos wird bei Reichardt auf bittere Weise konterkariert. Die urwüchsige Natur in River of Grass, Old Joy und MEEK’S CUTOFF erscheint ähnlich beengend und ausweglos wie das urbane Niemandsland in Wendy and Lucy. „Merkwürdigerweise sehen manche Menschen am Ende meiner Filme einen Hoffnungsschimmer“, so Reichardt, „ich sehe da nicht viel Hoffnung. Die Filme entstanden noch zu wenig optimistischen Zeiten.“ NIGHT MOVES, Kelly Reichardts neuester Film, fügt der Auseinandersetzung von Individuum und Gesellschaft eine neue Facette hinzu. Indem sich die Regisseurin dem Umweltaktivismus einer jüngeren Generation zuwendet, findet sie zu einer ungewöhnlichen Konkretisierung von politischem Handeln.
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